Einblicke ins bilding, Österreichs einzigartiger und einziger Kunst- und Architekturschule für junge Menschen
Das bilding bespielt derzeit mit einem gemeinschaftlichen Gesamtkunstwerk für und mit Kindern den Pavillon vor dem Tiroler Landestheater. Ein Anlass für die „Feldforschung“ der TKI, dieser besonderen Einrichtung hinter die schrägen Holzwände zu schauen und nachzufragen, worauf man nach sieben Jahren Bestehen im Rapoldipark zurückblickt und wohin es in der Zukunft gehen soll.
So fließend und dynamisch wie derzeit die blau-wallende Textillandschaft im Erdgeschoß des Pavillons ist das bilding-Gebäude nördlich des Städtischen Hallenbads im Innsbrucker Stadtteil Pradl als Ganzes. Ein schräges Raumkontinuum aus hellem Holz, unterteilt nur durch Glaswände, mit freier Sicht auf große Arbeitstische, Regale voll griffbereiter Materialien, Architekturmodelle, großformatige Bilder an den Wänden und fallweise am Boden und auch ein paar Computer und Kameras. Nach draußen fließt der Raum auf Terrassen und große Flächen, die zum Bauen genutzt werden. Dort steht ein überdimensionales Liegemöbel neben einer flamingoähnlichen Konstruktion in pink und einem Art Riesenvogelhaus auf Stelzen, aus dem unten einige Kinderbeine herausragen. Auch am sonstigen Werkstättengelände sind Kinder und Jugendliche zusammen mit Künstler*innen und Architekt*innen beim Schaffen. Keiner beobachtet, alle sind am Tun.
„Wir sind ein Atelier in dem Künstler und Künstlerinnen arbeiten. Erwachsene und Kinder, gemeinsam und auf Augenhöhe,“ sagt Monika Abendstein, einmal passend als Herz, Hand und Seele des bilding bezeichnet. Dieser Ateliergedanke ist eine wesentliche Grundlage des bilding-Konzepts und rückt damit klar den künstlerischen Schaffensprozess in den Mittelpunkt und nicht die Kinderbetreuung. Alle sind ebenbürtige Impulsgeber*innen in diesem Prozess und werden mit ihrer Expertise und Kreativität angefragt. „Das merken die Kinder sofort“, sagt Monika Abendstein „und sie fädeln sich in diesen Prozess ganz selbstverständlich ein.“ Der Anspruch ist immer ein hoher, es wird nicht „nur so zum Spaß herumgepinselt“, und die Ergebnisse sind entsprechend ernst zu nehmen. Trotzdem ist das Arbeiten hier frei von Leistungs- oder Erfolgsdruck und sichtlich leicht und unbeschwert. Gerhard Diem, bildender Künstler ist seit sieben Jahren im bilding und schätzt diese Art des ernsthaften Arbeitens sehr: „Es dreht sich sozusagen gar nicht um die Kinder“, sagt er „wir sind eigentlich nicht rücksichtsvoll. Ein Projekt muss uns schon auch selbst interessieren.“ Hier wird also keine extra Kinderwelt mit Kinderregeln geschaffen, sondern „wir geben dem künstlerischen Tun das volle Gewicht das es hat. – Und ich denke, die Kinder honorieren es, wenn sie einmal nicht betreut werden.“
Das Arbeiten im bilding ist also an der Sache orientiert und nutzt dazu das Potenzial der Gruppe. Das erzeugt nicht nur für die Kinder und Jugendlichen zwischen 4 und 19 Jahren eine Atmosphäre frei von persönlicher Profilierung und externer Bewertung, sondern auch für die etwa 30 Erwachsenen – Maler, Bildhauer, Architektinnen, Designer, Grafikerinnen, Filmschaffende und Illustratorinnen – die die jahresdurchgängigen Werkstätten leiten. Sie kommen aus einem nicht selten konkurrenzgeprägten Arbeitsalltag und finden im bilding einen experimentellen Freiraum, der auch das eigene künstlerische Schaffen bereichert. Manche sind schon seit zehn Jahren dabei, zum Beispiel die Architekturvermittlerin Ricarda Kössl, die damals die Vorläuferorganisation KinderKUNSCHTschule mitgegründet hat und seitdem im bilding die Architekturwerkstatt leitet. „Es ist für viele Kinder ein Ausgleich, mit den Händen zu arbeiten, weg vom verschulten Denken.“ In ihren Kursen fördert sie das Skizzenzeichnen, Modellbauen und das konzeptionelle Verständnis von Architektur und Stadt. Kürzlich hat sich ihre Gruppe Gedanken über neue Arten der Mobilität in Innsbruck aus Sicht der Kinder gemacht, ein Projekt in Kooperation mit den Innsbrucker Verkehrsbetrieben.
Neben der Architekturwerkstatt bietet das bilding sein jahresdurchgängiges Programm auch in den Werkstätten Malerei, Bildhauerei, Film, Neue Medien und Design an. Über 200 Kinder besuchen es jede Woche. Dazu findet in den Ferien die Sommerakademie statt, es gibt Mappenkurse für die Aufnahme an künstlerischen (Hoch-)Schulen, Workshop- und Schulprojekte, Baukulturvermittlung in ganz Tirol und seit Kurzem auch ein internationales Artist-in-Residence-Programm, bei dem zuletzt der ungarische Künstler Gergö Bánkúti für mehrere Monate im bilding sein Atelier aufgeschlagen hat. All das, um junge Menschen dabei zu unterstützen, ihre kreativen Interessen, Fähigkeiten und künstlerischen Talente zu entdecken und weiter zu entwickeln und wohl auch, um die Kreativität der Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft sichtbar machen. Über die großteils kostenlosen Angebote erreicht man zumindest einigermaßen auch die Kinder aus wenig kulturaffinen Familien. Bei der Sommerakademie 2022 sollen 50% der Plätze an Kinder mit Fluchthintergrund gehen.
Entstanden ist bilding 2012 aus der Zusammenführung der Architekturvermittlung des aut.architektur und tirol und der parallel gegründeten KinderKUNSCHschule. Die Stadt Innsbruck stellte ein Grundstück im südlichen Rapoldipark zur Verfügung und ein Architekt*innenkollektiv rund um Arno Ritter und Wolfgang Pöschl übernahm die konzeptionelle Vorarbeit für die Planung des Gebäudes. Studierende des studio 3, Institut für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck, bauten schließlich den Entwurf ihres Kollegen Niklas Nalbach unter der Leitung von Walter Prenner und Verena Rauch in drei Monaten gemeinsam auf. Finanziert haben den Bau zum allergrößten Teil private Förderer. Einen „kosmischen Zufall“ nennt Monika Abendstein den einzigartigen Kraftakt der Zivilgesellschaft, der dieses Statement für Kinder- und Jugendkultur möglich machte. Nach vorerst temporärer Genehmigung hat das bilding seit 2021 eine dauerhafte Bewilligung und ist aus der (Kultur)landschaft Innsbrucks nicht mehr wegzudenken.
Mit der Stadt in der es steht, beschäftigt sich die bilding-community denn auch intensiv und widmet sich oft realen Aufgabenstellungen. Cam Nhi Quach, Architektin und auch schon einige Jahre im bilding aktiv, erzählt von Projekten mit 7 bis 14-jährigen – der „Borboletta“ einer räumlichen Installation für ein Innsbrucker Flüchtlingsheim etwa, oder dem „Sitzfritz“, einem Steckmöbelsystem aus Karton für eine mobile Teestube. Ein speziell zusammengesetztes bilding-Team hat über mehrere Sommer mit Kindern der Psychiatrie Hall die Sockelzone des Psychiatriegebäudes künstlerisch gestaltet, Ricarda Kössl erarbeitete mit Schüler*innen der NMS Reichenau Grünraumkonzepte für den neuen Stadtteil Campagnereiterareal – man mischt sich also produktiv ein in den Diskurs vor Ort.
Für Monika Abendstein ist das bilding aber auch und zuallererst eine Insel im Getriebe des Alltags. „Kinder brauchen eine Auszeit vom dauernden Bemessen-Werden, einen Ort wo es nur gilt, da zu sein zu träumen und zu experimentieren“ Der 15-jährige Luis bringt es auf den Punkt, wenn man ihn fragt, warum er gerne hierherkommt. „Weil ich ab und zu eine Pause brauche.“ Das bilding ist ein stressfreier, gewissermaßen auch zweckfreier Raum, wo Wertschätzung statt Bewertung stattfindet und die Kinder aus dieser Haltung heraus immer wieder selbst überrascht sind, was sie zuwege bringen. „Eine sichtbare Spur auf der Welt zu hinterlassen, sie ein stückweit besser zu verstehen und sie mitzugestalten“ sagt Abendstein „ist ein Grundbedürfnis aller Menschen. Es ist Teil der Persönlichkeit, aus sich zu schöpfen.“ Für die Gesellschaft sind solcherart aufgeladene Menschen unverzichtbar. Weil sie sich ohne Scheu trauen, Fragen zu stellen, die Welt aus der Kraft der Neugierde vollkommen neu denken und es wagen, zu produzieren, anstatt zu reproduzieren. Nicht überall wird das heute wertgeschätzt, „es braucht schon eine starke Lobby, die der Kultur zu ihrem Selbstverständnis in der Gesellschaft verhilft“, meint die bilding-Leiterin – auch in den Schulen, wo kreative Fächer immer mehr gestrichen werden.
Was die Zukunft bringen soll? Monika Abendstein ist es wichtig, nun in die Tiefe zu gehen, zu evaluieren und die Theorie hinter dem Tun zu erfassen. Dann kann dieser Ort nämlich noch mehr als bisher ein künstlerisch-pädagogisches Forschungsfeld für Einrichtungen aus Kultur und Bildung werden, eine Art Methodenlabor und damit hoffentlich auch Vorbildwirkung haben. Erstaunlicherweise ist die Innsbrucker Einrichtung nämlich österreichweit und darüber hinaus immer noch einzigartig. Über die Möglichkeit, vieles schon jetzt im bilding umzusetzen, freut sich Monika Abendstein jeden Tag. „Wir haben mit Kunst und Kindern zu tun – eine größere Freiheit gibt es gar nicht.“
TKI - Tiroler Kulturinitiativen
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