Ummi Gummi zählt zu den ältesten Kulturinitiativen Tirols. Aus der Not heraus geboren, versorgte der Verein den Bezirk Lienz ab Ende der 1970er mit Alternativkultur. Heute begeistert das Straßentheaterfestival Olala Einheimische wie Gäste.
Kurz vor Jan Anderson zur Gitarre griff, schaute der Reporter noch einmal auf die Uhr. „21.15 Uhr: Alle Regler standen auf Empfang, die letzten Vorbereitungen waren getroffen und der Megaevent konnte beginnen“, schrieb Markus Leitner in seiner Reportage „Rockgeschichte auf dem Lienzer Hauptplatz“ im Osttiroler Boten.
Er fasste in Worte, was mehr als 3.000 Leute am Lienzer Hauptplatz in Höchststimmung versetzt hatte – das Konzert der britischen Rockband Jethro Tull, die zu dieser Zeit Stadien füllte und auf einen Gig in die 10.000-Einwohner-Stadt Lienz gekommen war.
Als Erstes hatte Frontman Jan Anderson „Aqualung“ intoniert – eines der Lieblingslieder von Hans Mutschlechner. Für ihn und alle, die dieses Großereignis mitorganisiert hatten, war dieser 4. Juli 1993 ein Festtag. Jethro Tull feierte sein 25-jähriges Bühnenjubiläum und Ummi Gummi sein 15-jähriges Bestehen.
Die Vereinsmitglieder hatten bewiesen, dass Ummi Gummi keine Sternschnuppe war, sondern imstande, die größten internationalen Stars in die Provinz zu lotsen. „Das war von Anfang an unser stärkster Antrieb. Je größer der Widerstand, desto mehr wollten wir Anerkennung, desto mehr wollten wir uns behaupten, einen Platz haben in Lienz, in Osttirol“, sagt Mutschlechner im Rückblick.
Wer alles zu diesem Wir gehörte, lässt sich heute schwer an einzelnen Namen festmachen. Es waren viele. Lehrlinge, Gymnasiasten, Studierende, die nach Kunst und Kultur für junge Leute gierten, nach Räumen für Kommunikation, für den Austausch unter Gleichaltrigen. Um das zu erreichen, gründeten sie einen Verein, die erste Kulturinitiative Osttirols, eine der ersten Tirols. Seit 43 Jahren gibt es Ummi Gummi, seit 30 Jahren das Straßenfestival Olala. Hans Mutschlechner blieb eine Konstante, ist für die meisten das Gesicht von Ummi Gummi und „Mister Olala“.
Rund 70 Jugendliche und junge Erwachsene fanden sich fast auf den Tag genau 15 Jahre vor dem Jethro-Tull-Open-Air im Dolomitenhof in Lienz ein, um einen Verein zu gründen. Zu den treibenden Kräften gehörten der „Mutsch Hans“ und Eberhart Forcher, beide Absolventen der PÄDAK in Innsbruck, frisch retour in Lienz, wo es keinen Raum, keinen Platz für junge Leute gab.
„Der Leiter des städtischen Kulturamts organisierte klassische Konzerte, Theatergastspiele. Alles schön, gediegen, bürgerlich.“ – Wenn Hans Mutschlechner die Atmosphäre in Lienz Ende der 1970er Jahre beschreibt, wird die Leere spürbar, die junge Leute damals erfuhren. Jugend- und Alternativkultur fanden nicht statt, gab es nicht, standen außen vor.
Die Jungen, die sich im Dolomitenhof trafen, hatten schon erste Zeichen gesetzt, hier eine Party, dort ein Fest, DJ-Sound in einem Keller, im Saal eines Gasthauses. Schon die Namenssuche für den Verein bot Stoff für Legenden. Keiner von den auf einem Blatt Papier notierten erhielt die Zustimmung. Am Ende brachte der spätere Ö3-Moderator Eberhart Forcher einen neuen ins Spiel: Ummi Gummi – wohl in Anlehnung an das Album „ummagumma“ von Pink Floyd, veröffentlicht 1969.
Ein Name, der alles und nichts bedeuten kann, letztlich aber einfach Lautmalerei ist, ein offener Begriff, der sich mit Neuem füllen ließ. Ummi Gummi – Verein zur Förderung alternativer Kultur und Kommunikation, so der volle Wortlaut, bezog zunächst ein Vereinslokal in der Nussdorfer Straße, später in der Schweizergasse. Bis zu seiner Schließung Anfang der 1990er Jahre fungierte es als eine Art Jugendzentrum, als Treffpunkt und Vereinslokal.
Ignorierten die einen die Aktivitäten des Vereins bestenfalls, freuten sich andere, dass endlich für junge Leute etwas geboten wurde. „Es gab zwei Gruppen von Eltern. Die einen verhinderten jeden Kontakt mit uns, die anderen schickten ihre Kinder nur zu uns, weil sie sie aufgehoben wussten“, erinnert sich Mutschlechner.
Die Drogenproblematik, die es natürlich auch in Osttirol gab, ging der Verein offensiv an. „Niemand hat sich um diese Leute gekümmert. Wir haben immer gesagt: Hier ist jeder willkommen. Was außerhalb unseres Lokals passiert, geht uns nichts an. Im Vereinslokal werden aber weder Drogen konsumiert noch verteilt.“
Bekanntheit bis in die hintersten Winkel Osttirols und weit über die Landesgrenzen hinaus verschaffte dem Verein ziemlich rasch ein handfester Skandal. Im Herbst 1980 wollte Ummi Gummi „Was heißt hier Liebe?“, eine Produktion des Theaters am Landhausplatz in Innsbruck, nach Lienz holen. Das Stück der Berliner Kollektivs Rote Grütze über junge Liebe und Sexualität hatte landauf, landab bereits für Proteste und Aufführungsverbote gesorgt.
In Lienz formierte sich ein Bürgerkomitee, um das Gastspiel zu verhindern. Über Wochen lieferten sich Befürworter und Gegner einen erbitterten Kampf, nicht zuletzt im Osttiroler Boten. „Wir sind schließlich eingeknickt“, erinnert sich Mutschlechner. Ummi Gummi zog sich als Veranstalter zurück, das Theater am Landhausplatz übernahm die Verantwortung und führte das Stück als szenische Lesung auf. Während im Stadtsaal diskutiert wurde, fanden draußen Mahnwachen statt, schallten „Sittenverfall“ und „unchristliches Verhalten“ durchs Megaphon.
Wie tief die Gräben waren, zeigt ein zweiseitiger Beitrag, der ein Jahr später anlässlich der Schließung des Theaters am Landhausplatz im Osttiroler Boten erschien. Gabriel Ortner, einer der treibenden Kräfte hinter dem Bürgerkomitee, rechnete noch einmal mit dem Stück ab: „Die Besucher fanden das Stück äußerst primitiv, frivol genug und auch das religiöse Empfinden verletzend.“ Und er feuerte gleich noch gegen die Lienzer Kulturinitiative: „Erinnert sei noch, dass sich zuerst um die Aufführung der Verein ,UMMI GUMMI‘ bemüht hat.“
Auch der Auftritt der Wiener Band Drahdiwaberl 1982 in der Lienzer Versteigerungshalle hinterließ bleibende Eindrücke – beim Publikum und in der Bevölkerung. Während des Konzerts des „Chaosorchesters“ rund um Stefan Weber flogen „Burger“ aus Packpapier, gefüllt mit Holzwolle und Tierknochen, von der Bühne – und wieder retour.
Einer traf Weber an der Stirn. Das Blut rann ihm übers Gesicht, ein Auge schwoll an. Er spielte ungerührt weiter, während die Backgroundsängerinnen – darunter Jazz Gitti – vors Publikum tanzten und ihre Röcke hoben. „Du kannst dir das nicht vorstellen, denen war nichts heilig“, sagt Mutschlechner und lacht.
Dass derartige „Aktionen“ nicht gerade dazu beitrugen, das Klima zwischen einer nach wie vor konservativ-klerikal geprägten Gesellschaft und der Kulturinitiative zu verbessern, versteht sich von selbst. Dennoch: „Uns ging es darum, mithilfe von Kunst Grenzen zu verschieben, die Enge, die die jungen Leute verspürten, zu durchbrechen.“ Die provokante Kunst rückte ihre Bedürfnisse ins Bewusstsein, zwang zu Diskussionen. „Kabarettisten wie Dorfer oder Grünmandl, Polt oder Resetarits sprachen – politisch und gesellschaftlich – Dinge aus, die unserem Empfinden entsprachen“, so Mutschlechner.
Der Verein setzte auf ein ganzjähriges Mehrspartenprogramm: Musik, Literatur, Kabarett, Theater, Kinderveranstaltungen. Nicht nur einmal sah Paul Unterweger, der damalige Kulturreferent der Stadt Lienz, die Programmierung von Ummi Gummi als Affront. Anlässlich der 1. Lienzer Kulturtage 1980 meinte er im Kulturbericht des Landes Tirol, für den er die Beiträge aus Osttirol verfasste: „Diese anspruchsvolle Bezeichnung dürfte wohl ein wenig zu hoch gegriffen sein in Anbetracht des Angebotes, wenngleich man sich bemühte, außer den gewohnten musikalischen Darbietungen […] auch andere Veranstaltungen durchzuführen, wie Kinderfilme, Kindertheater und eine Tanzpantomime.” Einer von vielen kritischen Seitenhieben.
Davon ließ sich Ummi Gummi allerdings nicht beeindrucken. Angesichts des großen Zuspruchs, den die Kulturinitiative in immer weiteren Teilen der Bevölkerung erfuhr, baute sie ihr Programm kontinuierlich aus und setzte immer selbstbewusster Akzente. In den 1980er und 1990er Jahren organisierten die ehrenamtlichen Mitglieder zeitweise über 40 Veranstaltungen pro Jahr und setzten Schwerpunkte u. a. mit der Lienzer Rocknacht oder der Lienzer Jazzgala, mit Literatour oder der Osttiroler Bandbattle, die dem heimischen Bandnachwuchs eine Bühne bot. „Lienz gehörte in den 1990ern sicher zu den Jazzmetropolen Österreichs“, betont Mutschlechner.
Müßig, hier Highlights aufzuzählen – auf der Ummi-Gummi-Website findet sich eine nach Jahren geordnete Veranstaltungschronik, die zeigt, dass nationale und internationale Größen aus allen Sparten den Weg in die Bezirkshauptstadt fanden. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Kulturinitiative konstatierte die damalige Kulturstadträtin Ursula Strobl im Osttiroler Boten: „Ummi Gummi hat Kulturgeschichte geschrieben.“
Seit der Gründung 1978 bot Ummi Gummi immer auch Programm für Kinder bzw. Familien. Dazu gehörten etwa Clownerie, Puppen- oder Straßentheater. Im September 1992 führte der Verein das 1. Internationale Straßentheaterfestival in Lienz durch. „Wir haben etwas gesucht, das viele Leute erreicht. Begegnung im öffentlichen Raum ist dafür das richtige Konzept. Da triffst du Leute, die sonst vom Kulturbetrieb ausgeschlossen sind oder nicht so teilnehmen“, erklärt Mutschlechner.
Binnen weniger Jahre etablierte sich das Festival, das in einem eigenen Verein organisiert ist und seit 2003 OLALA Internationales Straßentheaterfestival heißt, als Sommerevent und zieht tausende Besucher an. Gaukler und Akrobaten, Spaßmacher und Clowns bevölkern die Straßen und Gassen von Lienz und treten an verschiedenen Plätzen auf. Heuer feiert Olala sein 30-Jahr-Jubiläum.
Längst sei die Organisation des Festivals zu einer Ganzjahresfreizeitbeschäftigung geworden, unterstreicht Mutschlechner. Dafür wurden Veranstaltungen von Ummi Gummi zurückgeschraubt. Heute finden unterm Jahr nur noch wenige statt. „43 Jahre sind eine lange Zeit. Ummi Gummi ist auf den Vorstand geschrumpft“, sagt Mutschlechner. Das eine oder andere Konzert bzw. Kabarettprogramm werde es aber weiterhin geben: „So lange es uns Spaß macht, wird Ummi Gummi weiterbestehen. Olala steht auf soliden Beinen.”
Der Beitrag, den Ummi Gummi für die Jugend- und Alternativkultur in Osttirol geleistet hat, wird von den wenigsten in Frage gestellt. „Wir haben uns immer als Impulsgeber verstanden und verstehen uns heute noch so. Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt längst weitere Kulturinitiativen in Lienz, im Bezirk, die für Vielfalt sorgen. Die Region ist weltoffener geworden“, resümiert Mutschlechner.
Diejenigen, die 1993 beim Jethro-Tull-Konzert am Hauptplatz mitsangen, tanzen heute mit ihren Kindern oder bereits Enkelkindern bei Olala durch die Gassen.
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