... ist aus dem urbanen Raum nicht mehr wegzudenken. Aber wie sieht es am Land aus? Wir haben uns auf die Suche nach den kreativen Biotopen außerhalb von Innsbruck gemacht und dabei besonders das Theater in den Fokus genommen.
Es ist höchst erfreulich, wie selbstverständlich die Kulturformen Musik und Sport in fast allen Orten Tirols für Kinder zugänglich sind und wie gut sie institutionell organisiert sind. Einer frühen Begabung oder einfach der Freude am Musikmachen in einer Musikschule nachzugehen oder sich in einem Sportverein im Team auszuprobieren, ist mit keinen allzu großen Hürden verbunden. Wieso eigentlich gibt es nicht genauso flächendeckend und niederschwellig Kunstschulen, Architekturschulen oder Theaterschulen, die Kindern kontinuierlich den Raum bieten, sich künstlerisch zu erproben und sich über zeitgenössische Kultur neu und anders zu erfahren? In Innsbruck hat sich mit dem „bilding“ ein solcher Ort etabliert, den heute niemand mehr in Frage stellt, aber im ländlichen Raum ist zeitgenössische Kultur für junge Menschen immer noch ein Nischenthema, dem oft der politische Rückhalt fehlt. Viele machen es trotzdem und stellen ein engagiertes Programm auf die Beine, mit dem sie das Grundnahrungsmittel Kultur ein Stück zugänglicher machen, auch außerhalb der Städte – zum Beispiel in Osttirol.
Dorthin ist Claudia Moser nach 30 Jahren Kulturarbeit in Wien und Innsbruck, unter anderem als Geschäftsführerin des Bierstindl, zurückgekehrt, um vor mittlerweile neun Jahren die Initiative Spielfeld Kultur zu gründen. Auch wenn Lienz eine Stadt ist, vermisst sie dort Orte für die freie Szene. Sie wollte für junge Menschen „die Türen und Tore zur Welt aufstoßen“, denn „hier in Osttirol ist ja links und rechts nichts.“ Die Idee, hier etwas für Kinder und Jugendliche zu machen, ist gemeinsam mit Andreas Schett entstanden, Leiter der Musikbanda Franui und Gründer der Villgrater Kulturwiese, die zwischen 1992 und ‘96 ein unvergleichliches Kulturprogramm ins hinterste Osttirol brachte. Anfangs war der Plan, jeweils im Herbst ein alternatives Vormittagsprogramm für Schüler*innen zu entwickeln, als Gegenkonzept zum verschulten oder überhaupt fehlenden Kreativunterricht an den Schulen. Wenig erstaunlich, dass das scheiterte.
Claudia Moser konzentrierte das Angebot dann auf eine Woche im August und etablierte acht parallele Workshops mit unterschiedlichen Schwerpunkten – Film, Mode, Tanz, Architektur, Kunst, Keramik, Theater und – seit sie mit dem Programm von der Tammerburg in die römische Ausgrabungsstätte Arguntum übersiedelt ist, auch Archäologie. Auf geniale Weise kommen nun Kunst, Kultur und Wissenschaft zusammen – auch wenn die historische Tammerburg ein, wie sie sagt, „prädestinierter Kulturort“ wäre, den die Stadt Lienz dennoch nicht betreiben, sondern loswerden will. 140 Kinder kommen jedes Jahr zum Kreativcampus von Spielfeld Kultur, die Kurse sind regelmäßig ausgebucht. Dennoch sind die öffentlichen Fördergelder mager und ein jahresdurchgängiges Angebot ist trotz der Nachfrage undenkbar. „Es mangelt letztendlich am politischen Willen“, bedauert Moser, auch wenn es gerade hier, in der „nach wie vor sehr patriarchalen Gesellschaft“, Möglichkeiten für ein freies, künstlerisches Arbeiten ohne Vorgaben und Druck bräuchte.
Beim Theaterworkshop in Osttirol wurde heuer der „Robin Hood“-Stoff neu interpretiert. Machtstrukturen, Ausgrenzung und Widerstand sind schließlich immer aktuell, meint Kursleiter Wolfgang Klingler. Der Haller Theaterpädagoge ist fast überall in Tirol involviert, wo es um Schauspiel mit Kindern und Jugendlichen geht. Auch ihm schwebte das Konzept der Musikschulen vor, als er vor zehn Jahren gemeinsam mit Priska Teran-Gomez, Doris Plörer und Laura Hammerle den Verein Young Acting gründete: Theaterschulen an vielen dezentralen Standorten in ganz Tirol, um möglichst allen Kindern den Zugang zum Schauspiel zu ermöglichen. Neun sind es über die Jahre geworden – Schwaz, Wörgl, Kufstein, Telfs, Imst und andere – und damit eine österreichweit einmalige Institution, erzählt die heutige Obfrau Laura Hammerle. Zurzeit erfindet sich der Verein neu als Vernetzungsplattform für Theaterpädagog*innen, denn um nach Vorbild der Musik weiterzumachen, bräuchte es auch hier viel mehr Geld. Kurse gibt es aber nach wie vor und Wolfgang Klingler beschreibt, was das Theaterspielen gerade für Jugendliche so wertvoll macht, weit über den künstlerischen Aspekt hinaus. Er spricht von Haltung, Atmung, Spontanität und Körperarbeit, die in einem spielerisch-forschenden Setting erprobt werden. Alles ohne Wertung und mit einem „Flow wie auf einer guten Party“. In der Rollenarbeit können die Jugendlichen alle Facetten ihrer Persönlichkeit austesten und auch in Rollenbilder schlüpfen, die sie ablehnen oder bewundern. „Wichtig ist mir die Ernsthaftigkeit, mit der wir das tun“, sagt Klingler. „Die Kinder sollen auf der Bühne das Gefühl entwickeln, das, was sie zu sagen haben, was die Gruppe tut, hat Bedeutung.“ Sich in fiktiven Situationen auszuprobieren, eröffne auch im Alltag neue Handlungsspielräume und bricht eingefahrene Muster auf, meint Kollegin Laura Hammerle.
Beide unterrichten im Theaterpädagogik-Lehrgang von Young Acting, der speziell für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickelt wurde, und Hammerle hat außerdem letztes Jahr das Theaterfestival Brucklinn initiiert, das junge Menschen aus der ganzen Welt für eine Woche zum gemeinsamen Theaterspielen zusammenbringt. Der regionale Auftakt mit Gruppen aus Tirol fand 2021 in Innsbruck statt, heuer im Frühjahr wurde auf ganz Österreich erweitert und der Höhepunkt mit internationalen Teilnehmer*innen ist für Juni 2023 geplant. Danach soll das Festival alle zwei Jahre Jugendtheater offensiv auf die Straßen und in alle Theaterräume der Stadt bringen. Dass die Gruppen aus Russland, mit denen schon lange ein freundschaftlicher Kontakt besteht, wohl nicht dabei sein werden, bedauert sie sehr. Gerade jetzt wäre das Potenzial des Theaters, Toleranz und kulturelles Verständnis zu üben, so wichtig.
Auf der Straße, in freien Theatern, an historischen Orten – für die Kulturarbeit mit jungen Menschen braucht es inspirierende Räume. Die Alte Gerberei in St. Johann, die früher tatsächlich einmal eine solche war, bietet genau so einen Raum, wie man ihn am Land sonst nur selten findet. Sie zählt zu den wichtigsten Kulturzentren Österreichs mit internationalen Acts (vor kurzem spielten hier die Pussy Riots) und ihr Betreiber, der Verein Musik Kultur St. Johann hat immer schon ein kulturelles Programm für Kinder angeboten. Als dieses immer dichter und vielfältiger wurde, entwickelte sich daraus 2008 der Verein Trampolissimo. So heißt heute noch die alljährliche Sommerakademie, die über sechs Wochen hinweg Workshops für Kinder und Jugendliche in vielen Kultursparten anbietet. Der Verein selbst heißt inzwischen youngstar und veranstaltet außerdem das höchst engagierte Kinder- und Jugendfilmfestival Cineale, das heuer am 5. November startet. „Wir wollten unbedingt etwas am Land machen, gerade hier ist es wichtig, über den Tellerrand von traditioneller Kultur zu schauen,“ sagen die Leiterinnen Isabell Huter und Cornelia Erber. Beide haben außerhalb Tirols studiert oder gearbeitet und es war nicht selbstverständlich, zurückzukommen. Interessante Jobs im Kulturbereich sind rar am Land, viele gute Leute bleiben in den Großstädten und der bekannte brain drain dünnt die Kulturlandschaft aus. Die Alte Gerberei bildet da eine echte Ausnahme. Bei den zahlreichen Schulen in St. Johann docken Huter und Erber vor allem mit der Cineale an, denn ein alternatives Programmkino gibt es im ganzen Bezirk nicht. „Kino ist eine Kunstsparte, die unbedingt erhalten bleiben soll“, sagen sie und bieten, mit filmpädagogischer Begleitung, Spiel- und Dokumentarfilme an, die über die Lebensrealität von Jugendlichen sprechen: Klimaschutz, Diversität, Transsexualität oder Internet Safety. Oft geht es darin um Kinder und Jugendliche, die sich auflehnen und die Welt zum Positiven verändern.
Das ist es im Grunde auch, was alle, die Kulturarbeit mit jungen Menschen machen, vermitteln wollen: Die Ideen von jungen Menschen sind wichtig und haben die Kraft, die Welt zum Besseren zu verändern. Kinder sind ihrer Zukunft nicht passiv ausgeliefert, sondern können sie aktiv mitgestalten. Und am besten geht das zusammen mit anderen, ohne Druck und im respektvollen Umgang miteinander. Eine wertvolle Nachricht für Kinder, die nicht selten in einer Realität aus Leistungsdruck, Ängsten und Konkurrenzdenken aufwachsen, in der schöpferisches Schaffen kaum mehr Platz hat.
TKI - Tiroler Kulturinitiativen
Dreiheiligenstraße 21 a
c/o Die Bäckerei
6020 Innsbruck
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MO-DO: 9 - 12 Uhr, DI: 14 - 16 Uhr
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