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Kinderschutzkonzepte

Kinderschutzkonzepte

verfasst von Simone Altenberger, Kinder- und Jugendanwaltschaft Tirol
Beitrag vom 25.07.2024
© Marc Sendra Martorell, unsplash

Übergriffe oder gar Missbräuche im Kindesalter können ein Leben lang Folgen mit sich ziehen. Hier geht es aber nicht nur um sexualisierte und körperliche Gewalt, sondern auch um psychische Gewalt oder Machtmissbrauch. Gewalt hat viele Gesichter und jede Form davon hat große Auswirkungen auf die Betroffenen. Gewalt passiert auch nicht ausschließlich hinter verschlossener Tür oder innerhalb der Familie. Gewalt kann überall auftreten, weshalb es besonders wichtig ist, dass die Gesellschaft aufmerksam ist, hinschaut und wir uns auch immer wieder einzelnen Bereichen widmen, in denen Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen. Essenziell ist somit natürlich auch der Kulturbereich.

Wenn man sich mit dem Thema Kinderschutz auseinandersetzt, muss einem bewusst sein, dass es hier keine allumfassende Regelung gibt, sondern es eine klassische Querschnittsmaterie darstellt. Kinderschutz ist überall relevant, wo sich Minderjährige aufhalten. Dies beinhaltet sowohl die Bereiche Familie und Bildung, aber auch die Freizeit, welche unterschiedlichst gestaltet werden kann. Außerdem gibt es Themen, für welche der Bund zuständig ist und andere, deren Zuständigkeit bei den Ländern liegt. In der Praxis führt dies dazu, dass es keine einheitlichen Standards gibt und im Kinderschutz ein Ungleichgewicht herrscht zwischen Bereichen, für welche es viele Vorschriften gibt, und anderen, in denen es kaum Regelungen gibt. Unabhängig von Vorschriften kann man jedoch sagen, dass Kinderschutz stark von der Haltung der handelnden Personen abhängt.

Was die Statistik sagt

Dass es weiterhin nötig ist, einen verstärkten Fokus auf den Schutz von Minderjährigen zu legen, zeigen auch aktuelle Zahlen. Eine Umfrage des Bundeskanzleramts zum Recht auf gewaltfreie Kindheit[1], welche 2023 bereits zum vierten Mal durchgeführt wurde, konnte aufzeigen, dass 22 % der Befragten das Austeilen eines Klapses als Erziehungsmaßnahme als richtig empfanden. 2021 lag der Umfragewert bei 11 %. Wenn man sich physische Gewalt ansieht, kann festgestellt werden, dass nur 58 % der Befragten das Ignorieren des Konfliktes mit dem Kind als nicht geeignete disziplinarische Maßnahme wahrnehmen. Besonders interessant sind die Ergebnisse zur Bekanntheit des Gewaltverbots in der Erziehung. Denn nur 49 % gaben letztes Jahr an, etwas davon gehört zu haben und das, obwohl das Gewaltverbot in Österreich bereits seit 1989 gilt.

Relevant sind auch Zahlen zur sexuellen Gewalt, denn jedes vierte Mädchen und jeder achte Bub sind davon betroffen. Am stärksten gefährdet ist die Alterspanne zwischen 6 und 12 Jahren. 90 bis 95 % der Täter*innen stammen dabei aus dem sozialen Umfeld der Minderjährigen. Täter*innen gibt es in allen Gesellschaftsschichten und sie suchen sich oft gezielt Berufe und ehrenamtliche Tätigkeiten mit Zugang zu Kindern und Jugendlichen.[2]

Diese Zahlen spiegeln jedoch nur einen gewissen Teil wider, nämlich das Hellfeld. Zu beachten gilt dabei immer, dass wir von einem Thema sprechen, in dem es große Dunkelziffern gibt. Wir sollten uns also die Frage stellen, wie wichtig uns der Schutz der Kinder und Jugendlichen ist und was jede*r Einzelne von uns dazu beitragen kann. Genauer gesagt kann jede Organisation auf jeden Fall dazu beitragen, dass für Kinder und Jugendliche ein Schutzraum innerhalb ihres Angebots geschaffen wird. Es liegt in der Verantwortung von Erwachsenen, hinzuschauen, Kindern zuzuhören und öffentlich eine Haltung gegen Gewalt an Kindern einzunehmen.

Vertrauenspersonen sind essenziell

Mit der Erstellung eines Kinderschutzkonzeptes kann ein wichtiger Beitrag dazu geleistet werden. Natürlich kann man präventiv mit einem Kinderschutzkonzept zwar nicht garantieren, dass nie wieder Übergriffe stattfinden werden, man kann aber sicherstellen, dass auf grenzverletzendes und missbräuchliches Verhalten professionell reagiert und der Zugang für potenzielle Täter*innen erschwert wird. Es geht hier natürlich um keine pauschalen Vorverurteilungen von Handelnden, sondern um die klare Haltung gegen Gewalt an Kindern. Zudem ist es ganz wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass Gewalt nicht rein sexualisierte oder körperliche Gewalt meint, sondern viel umfassender gedacht werden muss. Es geht also auch um Worte, Erniedrigungen, Einschüchterungen und dergleichen.

Besonders wichtig ist, dass Minderjährige Ansprechpersonen haben, denen sie sich anvertrauen können. Aus diesem Grund ist es auch Teil eines Kinderschutzkonzeptes, dass Personen als Kinderschutzbeauftragte ausgewählt werden. Diese sind dann Ansprechpersonen für Kinder und Jugendliche innerhalb der Institution bzw. des Vereins. Zum einen, wenn die Kinder und Jugendlichen über Vorkommnisse im Verein sprechen möchten, zum anderen aber auch, wenn es ihnen beispielsweise Zuhause nicht gut geht und sie Gewalt erfahren. Je mehr Vertrauenspersonen Kinder und Jugendliche haben, desto besser. Wichtig ist es darauf hinzuweisen, dass Kinderschutzbeauftragte Verdachts- oder Anlassfälle niemals alleine lösen müssen bzw. nicht alleinverantwortlich sind. Dafür gibt es spezielle Anlaufstellen, wie z. B. Kinderschutzzentren, Vera und auch die Kija, die bei Fragen gerne weiterhelfen. Die Aufgaben von Kinderschutzbeauftragten liegen darin, dass sie den festgelegten Handlungsplan kennen, danach handeln und wissen, wohin sie sich wenden können. Wichtig ist, dass Kinderschutzbeauftragte Kinder und Jugendliche ernstnehmen und ihnen gut zuhören. Wenn Kinder oder Jugendliche von Übergriffen berichten, dürfen diese nicht heruntergespielt werden.

Kinderschutzkonzept erstellen – wie geht das?

Der gegenständliche Blogbeitrag soll eine Einführung in das Thema geben, damit man sich ein besseres Bild eines Kinderschutzkonzeptes machen kann. Ein Kinderschutzkonzept ist ein Entwicklungsprozess, welcher sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt und stetig weiterentwickelt und überarbeitet wird. Dabei gibt es Teile, welche stets individuell auszuarbeiten sind, und andere, bei welchen man sich durchaus an Vorlagen etc. orientieren kann. Ein Kinderschutzkonzept besteht aus folgenden grundlegenden Teilen:

  • Risikoanalyse & Risikoabschätzung

Grundsätzlich startet man bei der Erstellung eines Kindeschutzkonzeptes immer mit einer Risikoanalyse. Dabei schaut man sich die einzelnen Risiken in allen Bereichen an und schätzt ab, wie hoch diese sind. Beispielsweise schaut man sich an, wie die Umkleiden gestaltet sind (Gibt es hier genug Licht? Sind die Räume verwinkelt? Wer hat Zugang zu den Umkleiden? Finden 1:1-Settings von Kindern mit Erwachsenen statt? etc.). Durch die Risikoanalyse soll Bewusstsein für die Risiken geschaffen werden und darauf aufbauend werden Maßnahmen entwickelt, welche dazu beitragen, dass diese minimiert werden.

Anhand dieses Punktes lässt sich gut erkennen, dass Kinderschutzkonzepte immer individuell an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Im Jahr 2023 haben wir einen Schwerpunkt auf Kinderschutzkonzepte im Sportbereich gesetzt. Bei vielen Sportarten ist es typisch, dass im Training bei der Ausführung von Übungen auch Hilfestellungen in Form von körperlichen Berührungen gegeben werden. Ein solcher Aspekt ist beispielsweise in der Risikoanalyse genau zu berücksichtigen.
Auf den Kulturbereich umgewälzt gilt es also zu beachten, dass man sich auch hier oft besonders nahekommt oder es beispielsweise bei Theatervorstellungen um die Inszenierung von Themen geht, welche eher in der Lebenswelt von Erwachsenen stattfinden und kindgerecht umgesetzt werden sollen. Zudem sind hier auch Faktoren wie Leistungsdruck etc. zu beachten.

  • Verhaltenskodex, überarbeitetes Leitbild und Einstellungskriterien

Hier werden präventive Maßnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen geschaffen, beispielsweise kann vorausgesetzt werden, dass ein eingeführter Verhaltenskodex bei jeder Neueinstellung zu unterschreiben ist. Im Konzept kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass man von einem breiten Gewaltbegriff spricht. Auch eine „Strafregisterbescheinigung Kinder- und Jugendfürsorge“ kann von allen Mitarbeitenden, egal ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, eingefordert werden. In diesem Teil des Kinderschutzkonzeptes wird dann etwa auch festgelegt, dass diese Bescheinigung nach einer gewissen Anzahl an Jahren (bspw. 3 oder 5 Jahre) neu vorgelegt werden muss.

  • Ernennung von Kinderschutzbeauftragten

Dieser Punkt wurde bereits vorher erwähnt. In jeder Organisation soll es mindestens zwei Kinderschutzbeauftragte geben, welche Vertrauenspersonen für die Minderjährigen sind. Jedes Kind und auch die Erwachsenen sollen die Beauftragten kennen und wissen, dass man sich an sie wenden kann. Im besten Fall besuchen diese auch regelmäßig Schulungen und Fortbildungen zum Thema Kinderschutz. Kinderschutzbeauftragte haben die Aufgabe, aufmerksam zu sein, Verdachtsfälle ernstzunehmen und anhand des festgelegten Handlungsplans Verdachtsfälle abzuklären.

  • Vorgehensweise im Verdachtsfall und Handlungsplan

Damit in Verdachts- oder Anlassfällen keine Überforderung herrscht, sondern den Mitarbeitenden Handlungssicherheit vermittelt werden kann, wird in einem Kinderschutzkonzept ein Handlungsplan festgelegt. In diesem wird wirklich Schritt für Schritt definiert, wer wann zu informieren und einzuschalten ist.

  • Monitoring und Evaluierung

Damit Kinderschutzkonzepte nicht nur niedergeschrieben, sondern auch gelebt werden, ist zum einen die Partizipation aller relevanten Personen (also eben auch der Minderjährigen selbst oder Eltern) wichtig. Zum anderen muss ein Kinderschutzkonzept als ein laufender Prozess betrachtet werden, der immer wieder evaluiert und ergänzt wird.

Vorteile eines solchen Konzeptes

Durch diese präventiv festgelegten Maßnahmen sollen folgende Ziele und Vorteile erreicht werden können:

  • Schutz aller Kinder und Jugendlichen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, körperlichen und geistigen Fähigkeiten etc.
  • strukturelle Risiken aufzeigen und minimieren
  • Bewusstsein in Bezug auf jegliche Formen von Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen bei den Beteiligten schärfen
  • Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen bezüglich ihrer eigenen Rechte stärken
  • Schaffung eines klaren Rahmens, um mögliche Täter*innen fernzuhalten
  • öffentliches Aufmerksammachen, dass man sich bewusst mit dem Thema Kinderschutz auseinandersetzt und für eine gewaltfreie Wertehaltung steht
  • Qualitätsmerkmal für die Einrichtung
  • Handlungssicherheit für die tätigen Personen

Kinderschutzkonzepte sind also ein essenzieller Baustein, um Minderjährige in unserer Gesellschaft bestmöglich zu schützen. Sie gelten als großes Qualitätsmerkmal und bieten nicht nur Schutz für die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern schützen auch alle im Verein oder in der Organisation tätigen Personen. Im Schul- und Elementarbildungsbereich sind sie teilweise bereits verpflichtend zu erstellen. Ziel ist es natürlich, dass Kinderschutzkonzepte flächendeckend und in allen Bereichen erstellt werden, damit so viele wie möglich von den vorher beschriebenen Vorteilen profitieren.

Selbstverständlich ist die Erarbeitung mit einem personellen und zeitlichen Aufwand verbunden. Nichtsdestotrotz muss der Schutz der Minderjährigen über diesem Aufwand stehen. Die Verhinderung und die adäquate Aufarbeitung von Vorfällen sind von enormer Bedeutung und sollten es uns wert sein, uns mit dem Thema Kinderschutz auseinanderzusetzen.

Nützliche Ressourcen

Glücklicherweise gibt es Institutionen und Personen, die einen bei der Erstellung von Kinderschutzkonzepten unterstützen. Außerdem gibt es online eine Vielzahl an Unterlagen und Materialien, welche gute Leitfäden bilden. Hierfür können wir folgende Quellen empfehlen:

Bei Fragen kann gerne die Kinder- und Jugendanwaltschaft Tirol kontaktiert werden.

 

[1] Bundeskanzleramt, Recht auf gewaltfreie Kindheit 2023. Ergebnisse im Zeitvergleich 1977-2014–2019–2021–2023, S. 8, 32, 65 (06.06.2024).

[2] Fachstelle Selbstbewusst, Darüber reden?! Sexualerziehung Prävention von sexueller Gewalt gegen Kinder; Fachstelle Selbstbewusst, S. 14 (06.06.2024).

KONTAKT
Kinder- und Jugendanwaltschaft Tirol, 6020 Innsbruck, Meraner Straße 5, Tel.: +43 512 508 3796
www.kija-tirol.at
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Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche
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www.schutzkonzepte.at
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