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Clubkultur – Die Utopie des Ausschlusses

Clubkultur – Die Utopie des Ausschlusses

verfasst von Nadja Studenik und Maurice Kumar
Beitrag vom 09.09.2021

Clubs sind Kultur

Paradoxerweise ist seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 und der damit verbundenen Schließungen der Clubs die Clubkultur mehr denn je zum Thema geworden. Durch die Abwesenheit von Clubs sind deren Bedeutung als soziale und politische Räume zunehmend hinterfragt worden. Doch was macht die Clubs als Orte so zentral und das vor allem gegenwärtig?

Kultur muss das Schaffen von Räumen sein, die das Althergebrachte aufbrechen und Neues ermöglichen. Kultur muss die Verhältnisse zum Tanzen bringen; und was wäre dafür besser geeignet als ein Club? Um das zu verdeutlichen, sind vor allem die Besonderheiten eines Clubbesuches hervorzuheben. Im Club können die Besucher:innen jederzeit frei wählen, was sie gerade machen oder wo sie sein wollen. Sie können der Musik lauschen, ekstatisch tanzen oder einfach ruhig in einer Ecke sitzen. Es gibt keine Sitz- oder Platzordnung und auch ohne explizites Szenewissen kann man Teil des Geschehens sein. Wer die DJs oder Liveacts des Abends nicht kennt, ist trotzdem eingeladen dabei zu sein. Einen solchen kulturellen Fauxpas könnte man sich bei einem Besuch in der Oper nicht leisten. Es wäre kaum vorstellbar, dass die Gäste einer Oper keine Ahnung haben, welche Aufführung gerade läuft. Eine Nacht kann in einem Club auch mal ein Tag gewesen sein und wieder zur Nacht werden. Clubs brechen somit Regeln klassischer kultureller Formate auf. Diese Besonderheiten eines Clubbesuchs treffen beinahe auf jeden Club zu, unser Interesse liegt hier aber in der Clubkultur. Unter diesen Begriff fassen wir jene Räume, die Platz für gesellschaftliche Gruppen und Praktiken bieten, die in der klassischen bürgerlichen Ordnung keinen Platz finden. Öffnet sich eine Clubtüre, dann finden wir queere Raumstrukturen, Sex-Positiv Partys und Räume für migrantische Communitys, die sonst im Alltag nicht gern gesehen werden. In Clubs werden gesellschaftliche Machtverhältnisse deutlich, indem sie die Sichtbarkeit von Gruppen verändern oder verschieben. Clubs sind Orte der Einschließung durch Ausschließung. An den meisten Clubtüren wird deshalb selektiert, um im besten Fall Gewalt und Diskriminierungen aktiv entgegenzuwirken. Im Gegensatz zur sonstigen Nachgastronomie ist eine Selektion in diesem Sinne für die Clubkultur wesentlich. Durch die Pandemie sind diese Räume weggebrochen.

Clubkultur durch Pandemie – ein Paradoxon?

Die coronabedingte Erschütterung des sozialen und kulturellen Lebens hat die Menschen aus ihren gewohnten Routinen geschmissen. Im Frühjahr 2020 schienen Viele noch die Hoffnung gehabt zu haben, dass sie bald wieder zu ihren gewohnten Abläufen zurückkehren können. Doch recht bald war klar, dass sich das eigene Leben zunehmend im Privaten verlor und es zu drastischen Einschränkungen, vor allem im sozialen Bereich kam: Kein Besuch von Konzerten, keine laute Musik, kein Feiern, kein Tanzen, keine berauschten Nächte. Alles was speziell die Clubkultur ausmacht, war auf einmal ein potenzielles Risiko und gesundheitlich gefährlich. Wie zentral diese Räume aber für Menschen sind, lässt sich gut in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck und deren Umgebung aufzeigen: Innsbruck mutierte zum neuen Hotspot der illegalisierten Ravekultur. Ohne baldige Aussicht auf legale Zusammentreffen, haben sich Menschen zunehmend organisiert, um Clubabende unter freiem Himmel zu ermöglichen. Mediale Aufmerksamkeit erhielten hier vor allem die Partys in der Sillschlucht.

Die Pandemie hat auch offengelegt, dass trotz fortschreitender Digitalisierung soziale Räume mit realen Menschen essentiell sind. Clubabende ermöglichen eine kurzzeitige Befreiung von den alltäglichen Lohnarbeitsmüh(l)en und den damit verbundenen Optimierungs- und Verwertungszwängen. Für diese Lebensnotwendigkeit formierten sich schließlich verschiedenste Kämpfer:innen, die sich der Rettung der Clubkultur verschrieben haben. Die Stimmen, die sich hier unter anderem sehr lautstark formierten, fanden sich in gemeinsamen Zusammenschlüssen wieder - ein Beispiel hierfür ist die IG Clubkultur. Sie sieht sich selbst als Interessenvertretung und Interessengemeinschaft für Club Kultur. Es geht um Vernetzung, um das Artikulieren von Clubkultur-bezogenen Bedürfnissen, sowie um das Schaffen von guten Arbeitsbedingungen, generell im Bereich Kunst und Kultur und speziell in der Clubkultur. Das Pilotprojekt Vienna Club Commission will hingegen mit Beratung, Workshops, Expert:innen-Pool und Vernetzung sowie Vermittlung zwischen allen Akteur:innen ganz der Clubkultur zu Gute kommen. Die in Österreich am längsten aktive Vernetzung ist die Innsbruck Club Commission. Diese hat sich bereits 2018 gegründet und ist erstmals mit der Kampagne Luisa ist hier - einem Projekt gegen sexuelle Belästigung und Gewalt - an die Öffentlichkeit gegangen.

Die Schwerpunkte und Zugänge dieser Netzwerke sind zum Teil unterschiedlich. Schon bei der Frage, welche Interessen vertreten werden, gibt es verschiedene Positionen. Während sich die Innsbruck Club Commission als Interessensvertreter für die lokale Nacht- und Kulturwirtschaft versteht, macht die IG Clubkultur deutlich, dass sie die Interessen sämtlicher von der Clubkultur bezogenen Bereiche vertritt. In diversen Arbeitskreisen organisieren sich daher Locations, Veranstalter:innen, Djs, Technikmenschen, Soundsysteme, Awarenessteams bis hin zum Publikum. Außerdem gibt es Unterschiede im Selbstverständnis. Die IG Clubkultur versteht sich dezidiert als politische Organisationsstruktur und weniger als Service- und Vermittlungsstelle wie zum Beispiel die Vienna Club Commission.

Trotz der Unterschiede hat sich vor allem in der Pandemie gezeigt, wie wichtig ein Sprachrohr für die Clubkultur ist, um ihre Sichtbarkeit auf politischer Ebene deutlich zu machen. So hat die Innsbruck Club Commission im Mai 2021 zum Beispiel ein Hilfspakets für die Clubkultur im Innsbrucker Gemeinderat erkämpft.

Kulturelle Bereicherung oder ökonomische Notwendigkeit?

Es stellt sich die Frage, welche Motivationen hinter den politischen Zugeständnissen zur Rettung der Clubs und deren Kultur stehen? Denn vor der Pandemie waren die Clubs nicht Teil der politischen Agenda; und wenn überhaupt, dann nur negativ konnotiert. Lässt sich das als eine positive Entwicklung für die Clubkultur verstehen? Bereits vor der Pandemie wurde in Deutschland über die Clubs und deren Erhalt heftig diskutiert, demonstriert und dafür getanzt. Auch die deutschen Politiker haben sich das Wort "Clubkultur" in ihre Notizhefte geschrieben und verwenden es mittlerweile auch gerne. Welchen Stellenwert die Clubkultur in der Gesellschaft bekommen soll, darüber haben die Parteien unterschiedliche Meinungen sowie Motivationen. Die wirtschaftliche Bedeutung als Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Selbstständige wird vor allem von Seiten der FDP herausgearbeitet. Im Gegensatz dazu hebt die Linke in einem Antrag hervor, dass Clubräume Teil einer kulturellen Vielfalt sind und auch besonderen Schutz verdienen. Diese zwei Positionen spiegeln sehr gut die verschiedenen Zugänge zu Clubkultur wider: Geht es bei der Rettung der Clubs um ökonomische Standortfaktoren oder um einen kulturellen Mehrwert für die Gesellschaft?

Tatsache ist, dass selbst konservative Politiker:innen erkannt haben, dass Clubs für die touristische Vermarktung als Standortfaktor zentral sind. Besonders junge bis junggebliebene Tourist:innen erwarten eine nächtliche Ausgehkultur. Die Stadt Innsbruck hebt in ihrer Marke zum Beispiel das alpin-urbane Leben hervor. Zur Urbanität gehören auch Club- und Kulturräume. Zentral ist für die lokalen Politiker:innen hier aber klarerweise, dass dadurch auch Tourist:innen angelockt werden können. Peripher hingegen die tatsächlichen Bedürfnisse dieser  Räume und die damit verbundene Vielfalt. Weder versucht die Stadt bürokratische Barrieren abzubauen oder (öffentliche) Räume zur Verfügung zu stellen, noch stehen hier Rechte von Minderheiten und das Aufbrechen von reaktionären Vorstellungen auf der To-do-Liste — außer es dient den Kapitalinteressen — also vor allem den Tourist:innen. Eine offene Stadt, die verschiedenste Lebensweisen akzeptiert, ist hier nicht die grundlegende Motivation.

© Kulturkollektiv ContrApunkt

Sperrstunde – Das Ende der Nacht?

Jetzt im Jahr 2021 müssen wir uns wohl die Frage stellen: In was für einer Stadt wir eigentlich raven wollen? Vor allem dann, wenn selbst der konservativste Politiker, die Clubkultur für sich entdeckt hat. Seit Juli 2021 können wir wieder gemeinsam Clubs erleben. Diese haben sich aber stark verändert. Anonyme Clubnächte, in denen wir uns einfach treiben lassen können, scheinen mit Contact Tracing, dem Nachweisen von Test- und Impfstatus oder Kartenreservierung im Vorverkauf im Moment der Vergangenheit anzugehören. Ist das die neue Normalität der postcoronalen Ausgehkultur? Haben Clubs als eine der letzten Orte der Anonymität ausgedient und sich durch die Maßnahmen der Pandemie zu deren Gegenteil verkehrt? Und was macht das mit dem Wesen der Clubkultur? Aus sozialer und kultureller Perspektive nimmt man diesen Räumen deren Andersartigkeit und deren subversives Potenzial.

Als Kulturkollektiv ContrApunkt haben wir uns im Herbst 2020 dazu entschlossen im Rahmen des Fördertopfs TKI open ein Projekt unter dem Titel "Sperrstunde - Das Ende der Nacht" einzureichen. Denn wie bereits erörtert, war die Club- und Nachtkultur durch die Maßnahmen der Pandemie, einer der am härtesten betroffenen Kulturbereiche. Für uns bedeutete das speziell, dass wir unsere im Jahr 2018 ins Leben gerufene Clubreihe "reclaim:your:club-club:against:reality" nicht durchführen konnten. Unsere Idee eines ortlosen Clubraums für politische Auseinandersetzung, sowie kritische Positionen und nicht lediglich für hedonistische Nächte, befand sich auf einmal im Stillstand.  Daher war es uns wichtig, diesen Zustand theoretisch zu begleiten und die anstehenden Veränderungen der Club- und Nachtkultur zu dokumentieren. Für uns müssen Clubräume soziale Grenzen aufbrechen, wo Andersartigkeit gelebt werden kann und einen Kontrapunkt zu unserem Alltag einnehmen.

Über die Autor*innen
Nadja Studenik, geb. 1983, selbstständig seit 2006. Mit dem Kulturkollektiv ContrApunkt als Kulturarbeiterin aktiv und Vorstandsmitglied der p.m.k - Plattform mobile Kulturinitiativen.
studenik.at
Maurice Munisch Kumar, geb. 1981, Vorstandsmitglied der TKI - Tiroler Kulturinitiativen. In verschiedenen Projekten und Vereinen als Kultur- und Sozialarbeiter aktiv. Im Moment bei Kulturkollektiv ContrApunkt, p.m.k, Subkulturarchiv, Schulsozialarbeit Tirol sowie als freier Autor und Lektor.
www.mauricekumar.at
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