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35 Jahre TKI: Angelika Wischermann – Laudatio – Das Ameisenkollektiv

35 Jahre TKI: Angelika Wischermann – Laudatio – Das Ameisenkollektiv

verfasst von Angelika Wischermann
Beitrag vom 27.11.2024
Angelika Wischermann hält die Laudatio zu 35 Jahren TKI
Foto: © Alena Klinger

Laudatio – Das Ameisenkollektiv

Hallo zusammen!

© Angelika Wischermann

Ich bin von der TKI eingeladen worden, euch vom Leben und der kollektiven Arbeit der Ameisen zu berichten. Doch bevor wir tief ins soziale Miteinander und die gemeinschaftliche Organisation des Ameisenstaats einsteigen, möchte ich mich kurz vorstellen:

© Angelika Wischermann

Ich bin Angelika Wischermann, und in den vergangenen zwei Jahren habe ich mich – im Zuge eines Kunstprojekts – intensiv mit dem Transportwesen der hiesigen Waldameisen beschäftigt (kennt ihr wahrscheinlich alle, diese klassischen Nester aus Tannennadeln sind von der Hügelbauenden Waldameise).

In dieser Zeit hatte ich die Gelegenheit, ihre Wege zur Nahrungsbeschaffung, die Organisation ihrer Transportwege kennenzulernen, aber auch die beeindruckende Koordination innerhalb des Ameisenvolks zu beobachten. Dieser Einblick hat mir gezeigt, wie unglaublich komplex Ameisengemeinschaften leben und arbeiten.

Ameisen sind aufgrund ihres sozialen Miteinanders so erfolgreich. Aber was heißt hier eigentlich „erfolgreich“? Erfolgreich heißt, dass Ameisen – ähnlich wie wir Menschen – nahezu alle Gebiete der Erde besiedelt haben – von Wüsten über tropische Regenwälder, vom Hochgebirge bis in die tiefen feuchten Sümpfe – überall können Ameisen leben. Ameisen sind also Generalistinnen und sehr anpassungsfähig. Ein wichtiger Teil ihrer Anpassungsfähigkeit ist, dass sie ihre Umwelt gemeinsam gestalten, und dass sie stets gemeinwohlorientiert handeln.

© Angelika Wischermann

Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein bei den Ameisen. Sprechen wir über die Probleme der hiesigen Waldameisen:

Klimatische Veränderungen und

vom Menschen sehr wirtschaftlich und kurzfristig gedachte Eingriffe können den Lebensraum der Ameisen für sehr, sehr lange Zeit zerstören.

Diversitätsverlust durch Monokultur und toxische Lebensraumvergiftung zerstören die lebendige Vielfalt von Lebensräumen.

Es braucht eine große Bandbreite an unterschiedlichen Pflanzen und Lebenswesen, um ein stabiles, lebensfreundliches Umfeld zu schaffen.

Und kompletter Kahlschlag wird zwangsweise zum Aussterben oder Abwandern der sozial engagierten Ameisenkollektive führen! Wenn man den Ameisen jegliche Lebensgrundlage entzieht, ist es für sie unmöglich, weiter vor Ort zu leben und zu arbeiten, also dazubleiben, dann müssen sie weggehen.

Lasst uns gemeinsam dafür einstehen, dass vielfältige Lebensräume und gesellschaftliche Diversität erhalten bleiben! Damit diese großartigen gemeinwohlorientierten Kollektive weiterhin bei uns leben und überleben können.

Tauchen wir jetzt einmal tief ein in die Besonderheiten und Stärken der Ameisenkollektive:

Als ich nach und nach versucht habe, mich in die Gemeinschaft der Waldameisen einzudenken, um ihr Transportwesen verstehen zu können, gab es zunächst erst einmal eine ganz große Überraschung für mich: Ameisengemeinschaften sind gar nicht so hocheffizient und durchstrukturiert, wie wir uns das meistens vorstellen.

Ameisen sind nicht alle einer Meinung und

sie arbeiten nicht kollektiv und harmonisch an einer Sache, an einem großen reibungslosen und perfekten Staat

(wobei sie bei Angriffen und Problemen unglaublich schnell kollektiv an der Behebung einer Notsituation arbeiten können und auch die Nahrungsmittelgrundversorgung, oder Nesterhaltungsmaßnahmen kontinuierlich und reibungslos verlaufen und sie diesbezüglich intuitiv zu wissen scheinen, was zu tun ist).

Vielmehr herrscht eine Vielfalt an Meinungen, Ideen und Vorstellungen, wie und wohin es gehen könnte. Es gibt keine Hierarchie, die Ameisen treffen gemeinsam und basisdemokratisch ihre Entscheidungen.

© Angelika Wischermann

Ich möchte euch das an einem Beispiel verdeutlichen: Der Ameisenstaat ist zu groß und individuenreich geworden und die Gründung eines neuen Staates steht bevor.
(Zum besseren Verständnis: Bei den Hügelbauenden Waldameisen gibt es oft Staaten, die von mehreren Königinnen, die Nachwuchs zeugen, bewohnt werden. Bei diesen Staaten kann, wegen des starken Bevölkerungswachstums, eine Saatenteilung zur Sicherung der Grundversorgung notwendig werden.)

In diesem Fall machen sich Kundschafterinnen auf den Weg, um einen geeigneten Ort für die Gründung eines neuen Staats zu finden. Ist eine Kundschafterin der Meinung, einen geeigneten Ort für die Nestneugründung gefunden zu haben, wird sie diesen Ort als Vorschlag einigen ihrer Kameradinnen unterbreiten. Dafür läuft sie zurück zum Nest und stubst dort eine Kameradin in bestimmter Weise an. Die Kameradin rollt sich daraufhin ein und wird von der Kundschafterin zum vorgeschlagenen Neststandort getragen.

Dort abgesetzt macht die Getragene sich ihr eigenes Bild vom Ort: Gefällt ihr der vorgeschlagene Ort nicht, macht sie nichts weiter und kehrt einfach zu ihrer Arbeit zurück. Gefällt ihr der Ort jedoch, wird sie zum Nest zurückkehren und weitere Kameradinnen zu einer Ortsbesichtigung tragen. Auf diese Art und Weise werden unterschiedliche Neststandorte vorgeschlagen und schließlich der beliebteste Neststandort für die Neugründung eines Staates ausgewählt.

Diese Diversität an Meinungen und Vorschlägen ist es letztendlich, die die Ameisen so erfolgreich und widerstandsfähig macht.

Erst durch die Menge an unterschiedlichen Vorschlägen, die gleichwertig Beachtung finden, können verschiedene Herangehensweisen an vielfältige Herausforderungen geschaffen werden. Es ist ein Zuhören und Gehörtwerden (auf chemisch-taktiler Basis), das die Gemeinschaft der Ameisen so stark und widerstandsfähig macht.

Darüber hinaus spielen der Außenraum und öffentliche Verkehrswege in der Gemeinschaft der Ameisen eine zentrale Rolle. Denn die Straße ist für Waldameisen weit mehr als ein einfacher Transportweg.

Sie stellt ein komplexes Netzwerk dar, das als zentraler Begegnungsort für die Gemeinschaft dient. Dieser Begegnungsort, der von den Ameisen durch kontinuierliche Nutzung und Duftspurmarkierung geschaffen wird, ist unverzichtbar für das Leben und Überleben des gesamten Ameisenvolks.

Neben der Verbindung des Baus mit wichtigen Ressourcen wie Futterquellen, Wasserstellen und Baumaterialien ermöglicht sie den Austausch zwischen verschiedenen Kolonien, was die genetische Vielfalt fördert und soziale Interaktionen stärkt.

Die Bedeutung von Begegnungsorten und Netzwerken zeigt sich natürlich nicht nur in der faszinierenden Welt der Waldameisen, sondern auch in unserem eigenen sozialen Gefüge.

Genauso wie die Ameisen ihre Straßen als Orte des Austauschs und der Zusammenarbeit nutzen, brauchen auch wir Menschen öffentliche Räume und Plattformen, um Verbindungen zu stärken und Vielfalt zu fördern.

Diese Orte des Miteinanders sind unverzichtbar, um Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen und eine lebendige, inklusive Gemeinschaft zu schaffen.

Die TKI als Interessengemeinschaft setzt sich für eben solche kulturellen Orte des Miteinanders ein. Deshalb hoffe ich sehr, dass sich die TKI weiterhin für eine fruchtbare, lebenswerte und divers bevölkerte Umgebung mit sozialem Klima stark machen kann. Vielen Dank für die Vernetzung, den Austausch und die Aufklärung, die ihr seit nunmehr 35 Jahren für uns alle leistet. Das war und ist wirklich großartig.

GRATULATION ZU EUREM 35. GEBURTSTAG!

In dieser schwierigen Zeit stehen wir einer Vielzahl großer Herausforderungen gegenüber. Gerade deshalb brauchen wir weiterhin Begegnungsorte des Zusammenhalts und des Austauschs.

Hoffen wir also, dass wir alle gemeinsam Gehör finden können, um hier vor Ort einen vielfältigen Lebensraum und eine inklusive Gesellschaft zu erhalten und zu schaffen.

Ich danke euch für die Aufmerksamkeit und wünsche euch einen schönen Abend.

© Angelika Wischermann
Über die Autorin

Angelika Wischermann

ist eine ortsspezifisch arbeitende Künstlerin, die auf die Gegebenheiten des Vorgefundenen eingeht. Aus Ortsuntersuchungen gehen Installationen, Objekte und Performances hervor. Wischermanns Arbeiten liegt dabei meist eine obsessive körperliche Handlung zugrunde oder die Werke werden aus einer intensiven, sich wiederholenden Tätigkeit heraus geschaffen. Residencies sowie Projekte und Präsentationen jenseits der städtischen Zentren (z. B. Supergau in Salzburg, Kunstraum Grünspan in Kärnten) spielen eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen.

Aktuelles Projekt:

Transportwesen – Ein Ameiseninfrastrukturprojekt

Über die Autorin
Studium der Bildhauerei und Multimedia an der Universität für Angewandte Kunst Wien und Studium der Bildhauerei und Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Mitglied der Künstler*innen Vereinigung Tirol seit 2023. Lebt und arbeitet in Innsbruck.
Angelika Wischermann
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