Beitrag im Rahmen der Veranstaltung „Kultur für alle – Was soll's? Was bringt's? Workshop zu 15 Jahre Hunger auf Kunst & Kultur in Tirol“ am 17.10.2023 im Haus der Musik
Mein Beitrag zum heutigen Thema der kulturellen Teilhabe entspringt meiner persönlichen Position als Kultur- und Sozialarbeiter, in der ich mit verschiedenen Aspekten dieser Thematik konfrontiert bin. Als Kulturarbeiter bin ich in verschiedenen Initiativen und Projekten und somit auch als Veranstalter aktiv. Ich bin zum Beispiel Teil des Kulturkollektivs ContrApunkt, und mit ContrApunkt auch Mitglied des Veranstaltungszentrums p.m.k in Innsbruck. Als ContrApunkt veranstalten wir gemeinsam mit dem Verein Diametrale das gleichnamige Filmfestival Diametrale. Bei unseren Veranstaltungen stehen wir immer wieder vor der Frage, wer an unseren Veranstaltungen teilhaben kann und wer nicht. Wen erreichen wir aus welchen Gründen nicht oder schon?
Im Moment gehen wir von einem Rückgang von bis zu 30 % in diesem Veranstaltungsbereich gegenüber dem Vorjahr aus, in dem wir unter anderem aktiv sind. Das betrifft Veranstaltungsformate wie Konzerte, Clubabende und Filmvorführungen – alles Formate, die Eintritt kosten.
Als Sozialarbeiter arbeite ich im Schulsystem. Unser Bildungssystem trägt wesentlich dazu bei, dass Armut verfestigt wird. Im Kontext meiner derzeitigen Tätigkeit als Schulsozialarbeiter – auch wenn sie nicht unmittelbar mit unserem heutigen Thema der kulturellen Teilhabe zu tun hat – merke ich zunehmend, dass sich viele Familien von Schüler*innen eine Teilnahme an Schulaktionen nicht mehr so einfach leisten können. Das betrifft Aktionen wie Sport- oder Kulturwochen.
Ich arbeite auch als freier Lektor im Department Soziale Arbeit am MCI in Innsbruck. Mit den Studierenden der Sozialen Arbeit gehe ich in meinen Lehrveranstaltungen unter anderem den Fragen nach: Wie entstehen gesellschaftliche Ungleichheiten? Was trägt dazu bei, was sind Ursachen und Bedingungen für soziale Ungleichheiten und welche sozialen Diskriminierungen gehen damit einher und werden somit zu gesellschaftlicher Realität? Ein Verständnis von Ungleichheitsverhältnissen ist deshalb wichtig, um diese benennen, verstehen und in weiterer Folge damit verbundene politische Maßnahmen besser einordnen zu können – inwiefern diese aktive Beiträge zur Bekämpfung von Armut darstellen oder lediglich Lippenbekenntnisse bzw. Alibiaktionen sind.
Es ist seit Jahren zu beobachten, dass sich die Deutung von Armut verändert hat. Von einem einst sozialen gesellschaftlichen Problem wird sie gegenwärtig vor allem als individuelles Schicksal gedeutet. Das spiegelt sich auch in Begriffen wie Underclass oder dem Prekariatsbegriff wider, die weniger als analytische Begriffe funktionieren, sondern eher als moralische Bewertungen, bei denen Verhaltensbeschreibungen oder kulturelle Aspekte von Armut im Vordergrund stehen. Das Problem ist, dass die ökonomischen und strukturellen Verursachungsmechanismen sozialer Ungleichheit nicht zur Diskussion stehen. Armut ist kein Zufall, sondern in unserer ökonomisch-sozialen Struktur der Gesellschaft verankert, sprich im Kapitalismus, einem System, das Ungleichheit produziert. Unser heutiges Thema der kulturellen Teilhabe hängt daher mit klassenspezifischen Positionen von Menschen zusammen und den damit verbundenen Ausschlussmechanismen. In unseren Veranstaltungen von ContrApunkt oder auch beim Filmfestival Diametrale merken wir, dass zunehmend auch Besucher*innen kommen, die Veranstaltungen mit einem Kulturpass besuchen. Dieser Pass ermöglicht es ihnen, in finanziell schwierigen Situationen an Kulturveranstaltungen teilzunehmen und das relativ unkompliziert.
Aber an dieser Stelle möchte ich die Frage stellen, was denn unsere Vorstellung von Teilhabe ist oder sein sollte? Ist Teilhabe die Ermöglichung, dass selbst von Armut betroffene Menschen unter bestimmten Bedingungen an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen können, wie zum Beispiel an Kulturveranstaltungen, was durch den Kulturpass ermöglicht wird? Oder ist Teilhabe, dass jeder an solchen Prozessen teilhaben und aktiv mitmachen kann, ohne dass Sonderregelungen dazu nötig sind, sprich ohne darüber nachdenken zu müssen, wie, wann und wo ich teilnehmen kann, eben weil es selbstverständlich ist, sozusagen als allgemeine Bedingung? Kurz gesagt: Ist Teilhabe ein Privileg oder eine Selbstverständlichkeit? Für letzteres – damit es eine Selbstverständlichkeit wird – bedarf es, wie so oft, anderer gesellschaftspolitischer Maßnahmen, oder besser gesagt, Kämpfe. Der Kampf gegen Armut ist ein sozialer Kampf.
Von Armut betroffen zu sein geht einher mit sozialen Ausgrenzungen, die klaren Ursachen, Strukturen und Prozessen unterliegen. Klassenbedingte Ausschlussmechanismen sind für viele schwieriger zu erfassen als zum Beispiel rassistische oder sexistische, die teilweise direkter sind, obwohl soziale Diskriminierung allgegenwärtig ist. Das lässt sich nur durch Verweis auf die Verschleierung sozialer Diskriminierung begreifen, auch innerhalb des kulturellen Feldes. Dies führt nicht nur zu Exklusionserfahrungen und verminderten Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen, sondern auch zu emotionalen Verletzungen, die die Würde des Menschen angreifen. Die amerikanische Anthropologin Sherry Ortner spricht von „hidden life of class“. Soziale Klasse und die darauf basierenden Ausschlüsse haben zwar eine wirkungsmächtige Existenz, doch gibt es kaum adäquate Sprachen für diese Mechanismen, weshalb soziale Diskriminierungen häufig eher indirekt artikuliert werden. Damit einher gehen geringer sozioökonomischer Status und nachteilige Herkunft als Bedingungen, die kulturelle Teilhabe erschweren. Für von Armut betroffene Menschen folgt daraus, Prioritäten zu setzen, was in ihrem Alltag Vorrang hat. Über soziale Klasse zu sprechen ist etwas, das wir in unserem Alltag nicht tun, und für viele ist es auch ein eher beunruhigendes und unangenehmes Gesprächsthema. Denn darin liegt einerseits die Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Chancenverteilung verborgen und andererseits umfasst klassenbedingte Ausgrenzung immer auch eine moralische Bewertung einer Person. Damit verbundene Affekte und Gefühle wie Scham, Neid und Wut sind Empfindungen, die entstehen können, wenn Menschen von Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen werden. Scham ist auch ein machtvolles Herrschaftsinstrument zu Ungunsten der Beschämten. Demnach können Gefühle wie Scham als staatliches Instrument eingesetzt werden, um marginalisierte Gruppen zu stigmatisieren. Das Ziel ist, die Beschämten in ihrem Selbstwert zu beschädigen und sie „auf ihren Platz zu verweisen", indem sie aufgefordert werden, sich bestimmten Verhaltensregeln und Werten unterzuordnen, die politisch abverlangt werden: „Du musst halt mehr tun, damit du dir das leisten kannst!“
Wo das sehr deutlich wird, ist bei gesellschaftspolitischen Debatten. Die Themen Mindestsicherung oder Notstandshilfe werden im Fokus als Sozialschmarotzerdebatte geführt, während die Diskussion um die Vermögenssteuer als Neiddebatte geframed wird. Das sind interessante Reflexe, die bei jeder Form von ökonomischen Debatten über Gerechtigkeit auftreten. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl sieht darin eine Verunmöglichung der politischen Diskussion, indem zum Beispiel die Vermögenssteuerdebatte als Neiddebatte abgestempelt wird. Dieses Framing soll, so Strobl, klarstellen, dass die Kritik unlauter ist und aus einer reinen negativen Emotion wie Neid heraus entspringt. Das Problem der ungleichen Vermögensverhältnisse wird also von der Sache zu denen verschoben, die die Ungerechtigkeit kritisieren. Natascha Strobl betont, dass solche Frames die Vermögenden vor jeder Kritik schützen. Sobald von ihnen finanzielle Zuwendungen im Sinne einer Vermögenssteuer gefordert werden, wird diese Forderung als Charakterschwäche abgestempelt – man sei ja nur neidisch – egal, ob das bei der Forderung nach Erbschafts- oder Vermögenssteuern kommt, oder bei Hilfen, die vielmehr denen helfen, die es am wenigsten brauchen. Das verhält sich umgekehrt zu staatlichen Leistungen für 'unten'. Diese werden unter extremer Abwertung derer diskutiert, die sie erhalten.
Zum Schluss möchte ich festhalten, dass es wichtig ist, darüber nachzudenken, wie wir von Armut betroffenen Menschen ermöglichen können, an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Doch es ist auch wichtig zu betonen, dass es mehr braucht, um Armut zu bekämpfen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Anteil der 'working poor' ansteigt – also jener Menschen, die arbeiten, aber nicht genug verdienen, um damit finanziell zu überleben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die sogenannte Mittelschicht zunehmend zu einem gesellschaftlichen Mythos wird, da immer mehr Menschen darüber nachdenken müssen, wie sie ihren Alltag finanziell bewältigen können.
Wir als Veranstalter*innen können nicht die gesellschaftlichen Bedingungen verändern, die soziale Ausschlüsse produzieren, aber wir können darauf aufmerksam machen. Was es gesellschaftlich und politisch braucht, ist soziale Absicherung, Verteilungsgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit. Es ist zu wenig, am Ende des Monats gerade über die Runden zu kommen, sondern es braucht ein gutes Leben, in dem Kulturangebote am Ende des Monats keine Frage des Luxus sein sollten. Andernfalls bewegen wir uns in eine Richtung, in der Kulturangebote und Veranstaltungen zunehmend nur für ein bestimmtes, gut situiertes Publikum ohne Probleme leistbar sein werden. Kulturorte werden so zu Orten sozialer Homogenität. Wer kann noch ins Theater gehen? Wer kann noch in den Club gehen? Wer kann sich noch einen Film anschauen – und vor allem öfter als ein- bis zweimal im Monat?
Wir als Veranstalter*innen unterliegen genauso strukturellen Zwängen. Wir müssen die Veranstaltungen finanzieren, Mitarbeiter*innen, Künstler*innen, Referent*innen und unsere eigene Arbeit bezahlen. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil der Kultur- und Kunsttätigen selbst von Armut betroffen oder zumindest armutsgefährdet ist. Kulturarbeit ist ein sehr prekäres Arbeitsfeld. Trotzdem haben wir bei einigen Veranstaltungsformaten praktische Möglichkeiten in unserer Hand, indem wir zum Beispiel selbst gewählte Eintrittspreise mit Von-Bis-Beträgen anbieten. Wer mehr hat, kann mehr zahlen, wer weniger hat, kann weniger zahlen, im Sinne eines solidarischen Prinzips.
Festhalten möchte ich als Letztes: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch in einer gesellschaftlichen Realität leben, in der unser Bundeskanzler Fastfood von McDonald's als Antwort auf Kinderarmut und mangelnde Grundversorgung hat – was wäre wohl seine Idee zur kulturellen Teilhabe von Menschen?
Quelle:
Strobl, Natascha: Wieso Kritik kein Neid ist. Online unter: moment.at/story/neiddebatte-wieso-kritik-kein-neid. Zuletzt abgerufen: 24.11. 2023.
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