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“Chaos macht Bewegung, aus Chaos entsteht Unerwartetes und ganz oft Wunderbares“

“Chaos macht Bewegung, aus Chaos entsteht Unerwartetes und ganz oft Wunderbares“

verfasst von Valentina Hell
Beitrag vom 19.09.2023
@queereschaoskollektiv auf Instagram © QCK

Lehrveranstaltung: Kulturinitiativen in Tirol

Im Sommersemester 2023 haben Andrea Perfler und Helene Schnitzer an der Uni Innsbruck eine Lehrveranstaltung zum Thema „Kulturinitiativen in Tirol“ gehalten. Unser Anliegen war es, den Student*innen Grundkenntnisse über das Feld der Kulturinitiativen zu vermitteln, ihnen einen Einblick in die Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen der freien Kulturarbeit zu geben und sie für kulturpolitische Fragestellungen zu sensibilisieren. Für den Abschluss der LV mussten die Student*innen einen Blogbeitrag über eine Kulturinitiative in Tirol oder ein kulturpolitisches Thema nach Wahl schreiben. Einen Teil der Texte präsentieren wir hier auf der TKI-Webseite.

“Chaos macht Bewegung, aus Chaos entsteht Unerwartetes und ganz oft Wunderbares“

verfasst von Valentina Hell

Das Queere Chaos Kollektiv (QCK) ist ein Projekt von und für queere Menschen in Innsbruck. Der Verein will mit Aktionen, Demonstrationen, Treffen und verschiedensten Veranstaltungen auf queere Themen aufmerksam machen und den Zusammenhalt in der Community stärken. Seit ihrer Gründung konnte sich die Gruppe bereits gut in Innsbruck etablieren und ist für viele nicht mehr wegzudenken. Im Fokus stehen neben Vernetzung und offenen Treffen auch die Öffentlichkeitsarbeit, sowie die Sichtbarmachung von queeren Themen. Dazu organisierte das QCK am Trans Day of Visibility, dem 31. März 2023, nicht nur eine Kundgebung, sondern auch eine Ausstellung im und mit dem Tiroler Landesmuseum. Im Gespräch mit dem QCK durfte ich außerdem erfahren, was es mit dem Chaos im Namen auf sich hat…

„Unsere Grundsätze: sinnvoll, machbar, kooperativ. Auch der Name wurde ungewöhnlich entschieden! Statt einer Wahl mit Mehrheit entstanden im Stimmungsbild zwei Favoriten und am Ende haben wir eine außenstehende kellnernde Person gefragt. Dabei fiel die Entscheidung eindeutig! Die Gründung und Namensfindung passierte innerhalb von ca. 3 Wochen im August 2022. Dann gab es ein erstes halboffenes Treffen mit ungefähr 30 Personen im Park, bei dem ganz viele Ideen gesammelt und Strukturen aufgebaut wurden. Seitdem sind wir stets in Wandlungsprozessen!” (QCK im Gespräch)

Die Entstehung

Das Queere Chaos Kollektiv wurde erst im Sommer 2022 gegründet, zählt jedoch für viele Innsbrucker*innen und vor allem queere Personen in der Stadt und ländlicheren Umgebung zu einer unabdinglichen Institution. Einzelne engagierte Personen erkannten die Lücke an Vernetzungsmöglichkeiten für Mitglieder der LGBTQIA+ Community und begannen sich auszutauschen und Ideen für queeren Aktivismus in Innsbruck zu sammeln. Daraufhin wurden Menschen aus verschiedensten Communities und Aktivismus-Gruppen eingeladen, um gemeinsam über Möglichkeiten und Ideen zu diskutieren. Aus diesem Zusammenschluss wurde schließlich das QCK geschaffen. Im Mittelpunkt des QCK steht das Kollektiv: Entscheidungen werden auf der Basis von Abstimmungen getroffen, Hierarchien oder Anweisungen „von oben“ gibt es nicht. Bei anstehenden Aufgaben oder der Planung von Veranstaltungen wird nach Beteiligung und Mithilfe gefragt, immer mit dem Beisatz: „…, wenn du gerade die Kapazitäten dazu hast“. Das Miteinander und die Empathie stehen dabei immer im Vordergrund.

 

@queereschaoskollektiv auf Instagram © QCK
@queereschaoskollektiv auf Instagram © QCK

Valentina Hell: Welche Meilensteine folgten nach der Gründung?

QCK: Unser erstes Parktreffen, unser erstes offenes Treffen, unsere ersten Redebeiträge auf Kundgebungen, der Start unserer Website und unseres Social Media Accounts, unsere Kooperationen mit Bäckerei, Café Lotta, Landesmuseum, … die Trans Awareness Week im November (nicht mal drei Monate später!), unsere ersten Peerberatungen, unsere Grundsatztreffen, die Klausur im Feber, die Vereinsgründung im März, der Trans Day of Visibility… und vieles mehr!

Das Miteinander

Bei einer queeren Game Show in der Bäckerei vor Lachen Tränen in den Augen zu haben, gehört genauso zum Angebot des QCK wie die Spaßtreffen, die regelmäßig in Parks oder Bars abgehalten werden. Dort sind nicht nur Mitglieder des QCKs eingeladen, sondern auch Mitglieder der LGBTQIA+ Community generell, Allies oder Interessierte. Beim sogenannten „Poly Stammtisch“ wird monatlich unter dem Slogan „Monogamy? In this economy?“ über Themen rund um Polyamorie und von der Norm abweichende Beziehungsmodelle diskutiert und ein Raum für freien Austausch geboten. Der Gedanke von Akzeptanz und Empathie bleibt dabei immer im Hinterkopf: Keine*r wird für die eigene Sexualität oder das Geschlecht verurteilt. Dies gilt genauso für jegliches Verhalten, das ausschließend, diskriminierend, triggernd oder absichtlich verletzend ist – dies wird im Kollektiv nicht geduldet. Es soll eine Gemeinschaft entstehen, die einen Raum der Akzeptanz und Sicherheit für Personen bietet, welche in der Gesellschaft sonst oft diskriminierend oder feindlich behandelt werden.

Was ist für dich persönlich der größte Mehrwert am QCK?

Person A aus dem QCK: Auf einer sehr persönlichen Ebene ist das Kollektiv ein Ort, an dem ich mich in meiner Identität immer sicher fühlen kann. Ich werde nicht ausgefragt, warum ich dabei bin, ob meine Identität valide ist, ich werde in meinen Pronomen, meiner Präsentation und meinen Perspektiven voll und ganz akzeptiert und unterstützt. Es ist selten, so etwas zu finden, selbst in der queeren Community. Auf der Kollektivebene stellt es einen sehr zugänglichen Weg, Aktivismus zu machen, dar. Alle werden unterstützt und eingelernt, und ob Queer oder Ally wird dabei nicht zu sehr hinterfragt. Es entstehen immer neue Themen und dadurch bilden wir Brücken zu allen Gruppierungen, mit denen wir in Kontakt sind. Ob Kulturvereine wie die Bäckerei und das Landesmuseum, queere Organisationen wie vimö, Vereine wie das Zentrum für sexuelle Gesundheit, andere Kollektive wie das Café Lotta und ganz viele linke Organisationen und Leute, der Stadtteiltreff, Kink Gruppen, Poly-Leute, Uni-Gruppen, einfach queere Menschen – das Kollektiv ist zu einer tollen Vernetzungsplattform für queeren Aktivismus in Innsbruck geworden. Es ist ein Ort für Austausch, Spaß, Aktivismus, Support, Selbstentdeckung und so vieles mehr. Auch wenn das immer etwas kitschig klingt: Ich fühle mich echt wie in einer großen chaotischen und vor Leidenschaft nur so sprudelnden Familie!

Das Angebot

Doch nicht nur für die eigenen Mitglieder bietet das Kollektiv ein vielfältiges Programm. Auf dem Instagram-Profil des QCK und auf dessen Website befinden sich Informationen und Posts sowie Blogbeiträge, die Aufklärung zu LGBTQIA+ Themen, aber auch sozio-politische und tagesaktuelle Vorkommnisse beinhalten. Die Blogbeiträge behandeln Themen wie die Debatte um genderneutrale Toiletten an der Uni Innsbruck, Begriffe der queeren Community oder queere und trans* Sichtbarkeit in der Gesellschaft.

Was ist die Vision des QCK und was möchte es in Innsbruck/Tirol erreichen?

Von Anfang an war eine der Ideen nicht nur einen queeren Raum zu schaffen, sondern ganz viele Räume in Innsbruck zu queeren. Das heißt, wir erschließen durch Kooperationen Räume für uns und machen die queere Community dadurch sichtbar! Dabei sprechen wir viele verschiedene Leute an und normalisieren die Präsenz queerer Menschen. Unser Ziel ist es, Innsbruck schöner, sicherer, vielfältiger und queerer zu machen. Mein persönlicher Traum ist es, dass jede queere Person oder auch Ally oder coole Person, die Anschluss sucht, die neu in Innsbruck ankommt, weiß, wohin sie  gehen kann, um Community zu finden. Es gab schon 1-2 Leute, für die das QCK dieser Platz war und nichts könnte mich glücklicher machen. Queeres, buntes Innsbruck, Tirol, Österreich und dann die Welt!

Das offene Ohr

Außerdem bietet das QCK mit einer Peerberatung ein weiteres Angebot für die LGBTQIA+ Community an: „So schön es ist, queer zu sein, kommen immer wieder Fragen auf, es gibt Unsicherheiten, Ängste und Redebedarf. Wir kennen das gut, und sind deswegen gerne, im Rahmen einer Peerberatung, für dich da!“ (QCK via https://qck.tirol/peerberatung/) Diese Beratung soll Personen einen sicheren Raum bieten, sich bei Unsicherheiten oder Problemen auszutauschen. Peerberatung bedeutet außerdem, dass die beratenden Personen ähnliche Erfahrungen gemacht haben und sich somit besonders gut in die Lage der Betroffenen versetzen können. Man kann sich nicht nur bei persönlichen Unsicherheiten zum Coming-Out oder der eigenen Sexualität beim QCK melden, es besteht auch die Möglichkeit, Fragen zu Themen wie Genderidentität oder Transition zu stellen. Die Peerberatung ersetzt dabei keine ärztliche oder psychotherapeutische Intervention, stellt aber ein niederschwelliges Angebot dar, welches kostenlos genutzt werden kann.

Woher kommt das Chaos im Namen?

Das Chaos kam meiner Wahrnehmung nach daher, dass wir unterschiedliche Frustrationen mit bestehenden Strukturen, Bürokratien und Rahmenbedingungen von aktivistischer Arbeit hatten. Positiv formuliert wollten wir für uns neue Organisationsformen und Wege, Aktivismus zu machen und zu leben erschließen. Dazu gehört, Neues zu wagen, mit Unklarheiten zu leben und zu wachsen und damit das Chaos anzunehmen und für uns zu nutzen. Chaos macht Bewegung und aus Chaos entsteht Unerwartetes und ganz oft Wunderbares.

@queereschaoskollektiv auf Instagram © QCK

Welche Menschen möchte das QCK ansprechen?

Alle Menschen, die sich in irgendeiner Weise mit Queerness identifizieren, Allies sind, nicht wissen wohin, oder Aktivismus und Community suchen – für euch ist das Kollektiv! Wir wollen natürlich auch alle ansprechen, die was dagegen haben, die, die an der Macht sind – und dabei Meinungen und Politik ändern!

Die queere Sichtbarkeit

Die Ausstellung zum Trans Day of Visibility (TDOV) wurde gemeinsam mit dem Tiroler Landesmuseum in Innsbruck realisiert. Dort konnte die Ausstellung zwei Monate lang bestaunt werden und wurde am TDOV mit einer Kundgebung mit Poetry Slam, Musik, Büchern und Redebeiträgen feierlich eröffnet. Für die Ausstellung wurden via Instagram ausschließlich Künstler*innen gesucht, welche trans*, inter*, nicht-binär, … sind und ihre Werke in der Ausstellung präsentieren möchten. Dabei übernahm das Kollektiv die Organisation und konnte letztlich alle interessierten Kunstschaffenden und deren Werke präsentieren. Die Kundgebung und die Ausstellung, bei denen mithilfe verschiedener Beiträge, Kunstwerke und -installationen ein Einblick in die Lebensrealitäten von trans* Personen geboten werden konnte, waren ein voller Erfolg. Durch die multimediale Darstellung und den freien Eintritt am TDOV wurde ein gut durchdachtes Projekt auf die Beine gestellt. Wegen des Erfolgs und des großen Interesses an den ausgestellten Kunstwerken wurde die Ausstellung auf zwei Monate verlängert und konnte bis Ende Mai 2023 im Landesmuseum Ferdinandeum besucht werden.

Ausstellung „Trans Day of Visibility“ im Ferdinandeum vom 31.3.-31.05.2023 © Tiroler Landesmuseen
Ausstellung „Trans Day of Visibility“ im Ferdinandeum vom 31.3.-31.05.2023 © Tiroler Landesmuseen

Was war das Ziel der Ausstellung und welchen Mehrwert sollte diese haben?

Trans*, inter*, nicht-binären und queeren Personen eine Plattform zu geben und queere Kunst sichtbar zu machen. Einen Raum mit queeren Perspektiven zu füllen - und sie auf einer so etablierten Plattform zu präsentieren. Es hat funktioniert, viel gutes Feedback mit sich gebracht und uns auch mit Stadt/Land in Verbindung gebracht.

Wie waren die Rezensionen und Reaktionen auf die Ausstellung?

Wir haben sehr viel Positives gehört! Leider gab es bei der Ausstellung ein paar organisatorische Schwierigkeiten, da in sehr wenig Zeit sehr viel zu machen war. Dadurch hat es ein paar Fehler in Bezug auf den Aufbau gegeben. Dafür haben wir uns persönlich entschuldigt und lernen für die Zukunft daraus. Aber die Ausstellung selbst wurde von Besuchenden sowie dem Museum gelobt und sogar bis Mai verlängert!

War es schwierig, Personen zu finden, die ihre Kunst ausstellen möchten?

Wir haben uns anfangs Sorgen gemacht, dass das schwierig wird, aber tatsächlich haben wir ganz viel Kunst bekommen und den ganzen großen Raum gefüllt. Die Beteiligung war unglaublich!

Das Gemeinschaftliche vereint

Das QCK vereint Freundschaft mit Aktivismus, eine helfende Hand mit Halt und Sicherheit, einen Raum für alle mit Platz für Ideen und Akzeptanz. Durch engagierte Menschen konnte der Verein in seinem ersten Jahr schon einiges auf die Beine stellen, viele Veranstaltungen umsetzen und wichtige Aufklärungsarbeit leisten. Der Sichtbarkeit von queeren Personen und deren Anliegen wird im öffentlichen und politischen Diskurs in Innsbruck und Tirol leider immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch deshalb ist das QCK von enormer Bedeutung, nicht nur um die Lebensqualität von queeren Menschen zu steigern, sondern auch um die Verbundenheit in der Community weiterhin zu stärken. Einen Besuch bei den Veranstaltungen, Treffen oder Stammtischen kann ich persönlich nur wärmstens empfehlen. Wir sehen uns dort!

 

@queereschaoskollektiv auf Instagram © QCK

Was ist für dich persönlich der größte Mehrwert am QCK?

Person B aus dem QCK: Der für mich größte Mehrwert ist eine möglichst diskriminierungsarme Gemeinschaft zu haben, in der ich nicht hinterfragt werde. Vor allem für Personen wie mich, welche im Moment kein cis-Passing haben, ist das außerordentlich wichtig und wohltuend. Des Weiteren ist es für mich eine tolle Möglichkeit mich aktivistisch zu betätigen und queere Sichtbarkeit in Tirol und Innsbruck zu fördern.

 

Valentina Hell, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft

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