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Freie Kulturarbeit for No Reason

Freie Kulturarbeit for No Reason

verfasst von Delia Salzmann
Beitrag vom 18.04.2023
Diametrale Team 2023
© Alena Klinger

Zum siebten Mal ging dieses Jahr das Diametrale – Filmfestival für Experimentelles und Komisches unter dem Motto „nutzlos und schön“ vom 1. bis 5. März 2023 über die Bühne. Fünf Tage lang gab es im Leokino und in der p.m.k ein breites Programm aus Musik, diskursivem Input und humoristischem, absurdem und bisweilen verstörendem Kino zu erleben. Mit vier der Organisator*innen treffe ich mich nach dem Festival, um mich mit ihnen über Kulturarbeit und ihre Leidenschaft für das Medium Film zu unterhalten.

"Eigentlich würd' ich gern ein Festival machen!"

Ein interdisziplinäres Festivalprogramm stellt man am besten mit vielen Köpfen zusammen, weshalb das achtköpfige Organisationsteam der Diametrale alle wichtigen Entscheidungen im Kollektiv trifft. Zwei Vereine arbeiten hier zusammen: Der gleichnamige Trägerverein "Diametrale", der vor allem für die filmischen Inhalte und die finanzielle Abwicklung zuständig ist, und das Kulturkollektiv Contrapunkt, welches sich vorwiegend mit dem diskursiven und musikalischen Programm befasst.
Die Zusammenarbeit entstand ursprünglich, weil man sich zum Abrunden eines geplanten Filmscreenings einen Konzertabend in den Kopf gesetzt hatte: „Wir haben uns also getroffen und eigentlich geplant, nur einen Film zusammen zu zeigen“, so Maurice Kumar vom Kulturkollektiv Contrapunkt. „Beim zweiten Treffen meinte Marco [Trenkwalder] plötzlich 'Eigentlich würd' ich gern ein Festival machen!'“. Aus der Filmpremiere wurde also ein Kurzfilmfestival mit Musikprogramm – die Diametrale war geboren. Ein günstiger Augenblick für ein solches Vorhaben, da zwei Innsbrucker Filmfestivals (das Los Gurkos Kurzfilmfestival und das rejected filmfest) gerade Nachfolger*innen suchten. „Die wollten das gerne abgeben, aber es war alles ehrenamtliche Arbeit, also hat sich niemand gefunden, der das übernehmen wollte“, so Marco Trenkwalder. „Wir haben das Festival von Los Gurkos dann quasi unter anderem Namen weitergeführt. Das war hilfreich – ich hatte damals keine Ahnung von Kulturarbeit, wie man sowas überhaupt finanziert und organisiert. Wir wussten nur, die Thematik sollte absurdes, surrealistisches Kino sein, experimentell und auch ein bisschen humoristisch. Dann haben wir eine Webseite erstellt, über die man Filme einreichen konnte. Ich verstehe bis heute nicht, wie wir im ersten Jahr 700 Einreichungen bekommen haben. Das hat sich einfach irgendwie verselbstständigt.“

700 Einreichungen im ersten Jahr

Kein Wunder eigentlich, sind Möglichkeiten für Filmemacher*innen, Kurzfilme öffentlich zu präsentieren, doch eher rar – umso mehr, wenn es sich um derart kurioses Material handelt. Der Kurzfilmwettbewerb ist auch heute noch eines der Kernstücke des Festivalprogramms. Dieses Jahr wurden neun Filme gezeigt, die inhaltlich nicht unterschiedlicher hätten sein können – von abstrakt-bunten Traumwelten aus Ton über Mord und Totschlag bis zu einer einminütigen Abhandlung über die Herausforderungen des Geschenkeeinpackens gab es alles Mögliche zu erleben. Am Ende trug Precautionary Measure von Lizzy Deacon und Ika Schwander, eine absurd-albtraumhafte Self-Help-Journey im Angesicht einer sich rapide wandelnden Welt, den Sieg davon. Denise Alder, die Regisseurin des ebenfalls gezeigten Mablo Micasso's Dream war für ein anschließendes Q&A im Leokino anwesend. Sie beschrieb das Medium Film im Gespräch als eines der zugänglichsten – weniger elitär behaftet als etwa bildende Kunst und die Häuser, die jene oft ausstellen. Die niedere Hemmschwelle eröffne im Kino Möglichkeiten, dem Publikum neue Perspektiven näherzubringen. Marco Trenkwalder erzählt: „Die ersten drei Jahre lang war das Ganze gefühlt eher ein Spaßprojekt. Ab Jahr vier oder fünf fängt man an, sich ziemlich intensiv Fragen zu stellen: Welche Verantwortung man hat, wie man's den Leuten recht macht, oder im Gegenteil – wie man vielleicht ein bisschen provozieren kann.“

DIAMETRALE 2023 – BDSM-Talk – David Prieth im Gespräch mit Ayoto Ataraxia und abcde Flash © Daniel Jarosch

Stichwort Provozieren

Provokation ist für die Diametrale in der Tat kein Fremdwort. Dieses Jahr stand neben der Sex Positive Short Film Night unter anderem auch eine Podiumsdiskussion zum Thema BDSM (Abkürzung für: Bondage, Disziplin, Dominanz, Submission/Unterwerfung, Sadismus, Masochismus) auf dem Programm. Obwohl gerade in größeren Städten Derartiges schon längst öffentlich thematisiert wird, wagte man sich damit in Tirol zu Festivalbeginn auf Neuland. Marco Trenkwalder erzählt: „Ich hab' das in Berlin zum ersten Mal erlebt: Darsteller*innen sind im Film nackt und machen was auch immer für Sachen, und dann stehen sie danach auf der Bühne und reden darüber. Das war eine Erfahrung, die ich davor noch nie gemacht hatte. Da denkst du dir: Wow, die trauen sich was! Das ist Empowerment.“ Eben solche Räume für Empowerment und Austausch über Themen, über die sonst gerne geschwiegen wird, will auch die Diametrale bieten. David Prieth erklärt: „Es geht ja nicht um Pornografie um der Pornografie willen. Da muss man schon einen Unterschied machen. Es geht um viel mehr: Um empowernde Sexualität, um eine andere Art von hochwertiger Filmkunst, und darum, das Ganze immer auch diskursiv einzubetten. Und da waren wir tirolweit im Grunde die ersten, die sowas gemacht haben.“ Der Andrang bei solchen Veranstaltungen ist groß, das Festival spricht mittlerweile etwa viele Menschen aus der LGBTQ*-Szene an. Gerade in den Anfangsjahren bekam man aber auch Kritik zu hören: Ein Stammgast durchbrach die erste Sex Positive Film Night mit „Pfui!“-Rufen und beschwerte sich danach bei der Leokino-Leitung über „das schlechteste Programm, das [er] jemals dort gesehen habe“. Menschen, die sich gerne ärgern, kommen bei der Diametrale also ebenso auf ihre Kosten wie jene, die sich gerne ekeln, gruseln oder wundern. Da das Freitagsprogramm, teamintern liebevoll als „Sexy Friday“ betitelt, nur einen Bruchteil der Diametrale ausmacht, will man sich darauf aber auch nicht reduzieren lassen.

Ein Planungsjahr zwischen Arbeit und Vergnügen

Fünf Tage Programm kristallisieren sich im Laufe des Planungsjahres heraus und gliedern sich dann organisch in verschiedene Schwerpunkte, ein Überthema gibt es nicht. Die Organisator*innen sind auch privat viel auf Filmfestivals unterwegs und sammeln Ideen. Nach einer Vorauswahl werden Screenings in der p.m.k abgehalten, die Filme gemeinsam geschaut und darüber diskutiert. Die letztendliche Auswahl treffen dann alle zusammen. Wie so oft in der Kulturarbeit verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Vergnügen: Sich einen Pool aus mehreren hundert Filmen anzuschauen, mag übers Jahr verteilt Spaß machen – je näher das Festival rückt und je mehr der Zeitdruck damit steigt, desto mehr fühlt sich das Sichten der Filme auch wie Arbeit an, erzählen die Organisator*innen. Wer wie viel Arbeit hineinsteckt, ist vor allem eine Zeitfrage. Fast alle im Team gehen Vollzeitjobs nach. Ehrenamtlich sind ihre Tätigkeiten bei der Diametrale mittlerweile zwar nicht mehr, chronisch unterbezahlt bleiben sie aber. Marco Trenkwalder, der aufgrund seiner Selbstständigkeit am flexibelsten ist, schätzt seinen Arbeitsaufwand im Jahr auf ungefähr 1.000 Stunden. Mittlerweile gibt es abseits der fünf Festivaltage auch im restlichen Jahr viel zu tun, durch zahlreiche Kooperationsveranstaltungen, etwa mit dem IFFI – International Film Festival Innsbruck, dem Heart of Noise Festival oder der Medienfrische. Dazu kommen die jährlich im Herbst stattfindenden Diametrale Nachtvisionen – eine Filmreihe, die in Spätvorstellungen Filme des transgressiven, genreübergreifenden Kinos der 60er-, 70er- und 80er-Jahre zeigt. Die 5. Ausgabe der Nachtvisionen findet heuer von 11. bis 14. Oktober in Innsbruck statt.

DIAMETRALE 2023 – Publikum im Leokino © Alena Klinger

Kultur aus Leidenschaft

„Das ist so eine klassische Genese einer Kulturinitiative“, meint David Prieth, „da willst du einen einzigen Film zeigen, und plötzlich hast du 1.000 Stunden Arbeit im Jahr", und fügt an: "Es ist kein Job für die Stempeluhr.“ Kulturinitiativen wie die Diametrale entstehen meist aus Leidenschaft, wer finanzielle Motive verfolgt, sucht sich vermutlich einen anderen Job. Nach einigen Jahren teils sehr zeitaufwändiger und anstrengender Arbeit kam dann aber doch der Moment, in dem die Organisator*innen merkten, dass sie Arbeit leisten, die für die Gesellschaft einen inhaltlichen sowie wirtschaftlichen Mehrwert hat (2023 war der Eröffnungsabend so gut besucht wie noch nie!). David Prieth: „Es ist nicht nur Arbeit, wenn man es hasst.“

Nicht am Inhaltlichen kürzen

Nachwuchsinitiativen haben es oft schwer, eine Förderung zu erhalten. "In den ersten Jahren haben wir ja gar nicht damit gerechnet, Geld zu bekommen", erzählt Maurice Kumar. Dass das Ausschreibungsthema von TKI open 18 „Humor“ lautete und damit gut zur Diametrale passte, war für das Festival ein Glücksfall, da es von der Jury ausgewählt und vom Land Tirol gefördert wurde. „Wir hatten mehr Budget und konnten von einem Tag auf drei erweitern. Da startet man mit anderen Förderstellen gleich ganz anders ins Gespräch, wenn man das vorweisen kann“, so Marco Trenkwalder. Das zusätzliche Fördergeld vom Bund war dieses Jahr eigentlich für eine angemessenere Bezahlung des Teams geplant. Aufgrund der Teuerung und einem damit verbundenen Mehrkostenaufwand von ca. 15 % stand man im Endeffekt aber gleich da wie im Vorjahr und die faire Bezahlung musste hintenangestellt werden. „Die Verantwortung, die man mit so einem Festival hat, wird immer größer mit den Jahren“, so Marco Trenkwalder. „Man will allen fair begegnen, mit fairen Gagen, fairen Screening-Fees – und das auch offen kommunizieren können.“ Bleiben die Förderungen gleich, während die Preise steigen, muss man Abstriche machen. David Prieth erklärt: „Und dann müsstest du halt zum Beispiel sagen, dann finden die Diametrale Nachtvisionen dieses Jahr eben nicht statt. Das heißt, man müsste am Inhaltlichen kürzen, und das wollen wir nicht.“ Deshalb kürzen die Kulturarbeiter*innen stattdessen – wie so oft – bei sich selbst.

Das Geld wird neben den Gagen für Künstler*innen und Referent*innen vor allem für Materialkosten, Mieten, Transportkosten und Unterkünfte ausgegeben. Auch Reisekosten machen einen großen Teil der Ausgaben aus und steigen jedes Jahr. „Aber nur dadurch können Leute sich treffen und austauschen“, so Marco Trenkwalder, „es geht bei der Diametrale ja nicht nur um die Filme. Es geht um den Kino-Ort an sich, den man wieder sozial beleben will, nach den Pandemiejahren und nachdem die Streamingplattformen explodiert sind. Es geht darum, dass die Leute wirklich da sein können.“ Um das nicht nur für geladene Gäste wie die Filmemacher*innen, Musiker*innen und Vortragende zu ermöglichen, sondern auch den Besucher*innen die Anreise zu erleichtern, erlaubte dieses Jahr eine Kooperation mit der IVB die kostenfreie Nutzung der Öffis mit einem Diametrale-Festivalpass.

nutzlos und schön und grün

Auch in anderen Belangen ist Nachhaltigkeit für das Team ein wichtiges Thema. Deshalb kümmerte man sich dieses Jahr auch um ein Green Event Zertifikat, eine Maßnahme, die nach Meinung des Teams für Veranstaltungen gang und gäbe sein sollte. Das Zertifikat bezieht neben Mülltrennung und Mehrweggeschirr auch Aspekte wie Strom, Werbemittel und Mobilität ein: So soll etwa nach Möglichkeit auf Ökostrom zurückgegriffen werden; auch versucht die Diametrale bei Gästen auf Flugreisen zu verzichten. Soziale Nachhaltigkeit, etwa in Form von Barrierefreiheit und neutraler Sprache, fließt zudem in das Zertifikat ein. Im Einzelfall mag der Impact begrenzt sein – würden alle Veranstalter*innen in Österreich derartige Ziele umsetzen, wäre er nicht von der Hand zu weisen.

“Pankow ’95“ von Gábor Altorjay © Diametrale

Analoge Raritäten

Etwas, das das Team eint, ist die Leidenschaft für analoge Filme. Vor allem bei den Diametrale Nachtvisionen werden oft analoge Kopien seltener "Fundstücke" gezeigt. Glücklicherweise wartet das Leokino nach wie vor analoge Projektoren, nachdem die meisten anderen österreichischen Kinos diese im Zuge der Digitalisierung ausrangierten. Marco Trenkwalder beschreibt: „Das macht auch eine gewisse Exklusivität des Festivals aus, wenn man sich auf die Suche nach Filmrollen begibt und von einem Filmmuseum zum nächsten weitergeleitet wird, weil da oder dort noch was liegen könnte. Dann muss alles transportiert und aufgebaut werden; wenn der Film alt ist, sind oft Risse drin, dann muss noch was repariert werden. Oder als wir White Pop Jesus gezeigt haben – da haben einfach 20 Minuten vom Film gefehlt, und keine*r wusste, warum oder welcher Teil.“

Stattdessen könnte man auch eine restaurierte Blu-ray-Fassung oder Ähnliches zeigen – wenn es denn eine gibt – das wäre wesentlich unkomplizierter. Doch David Prieth erklärt: „Das hat fast was Zeremonielles an sich – das Zelebrieren von Analogkopien.“ Oft steht dann gar nicht mehr der Film an sich im Zentrum, sondern mehr die Filmkopie, das Materielle, Einzigartige daran. Marco Trenkwalder: „Kleine Erfolge, die wir gefeiert haben, waren z. B. Die Satansweiber von Tittfield von Russ Meyer, den wir bei den Nachtvisionen 2020 gezeigt haben: Es war schwer, da noch eine abspielbare Kopie aufzutreiben. Oder The Love Witch von Anna Biller, ein zeitgenössischer Film, der aber mit komplett analogen Mitteln produziert wurde. Das sind interne Erfolge, die wir feiern, auch wenn das Publikum sie manchmal gar nicht so mitbekommt.“ Dies beantwortet meine Frage: Wozu also trotz des Mehraufwandes analogen Filmen hinterherlaufen und sich mit ihnen abmühen? Ich fühle mich an einen Filmausschnitt erinnert, der den diesjährigen Eröffnungsabend einläutete. Wozu, warum irgendetwas tun, im Film oder sonst wo? „No Reason.“ Außer wegen der Freude eben.

Über die Autorin
Delia Salzmann hat Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie studiert, arbeitet derzeit im TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol und im aut. architektur und tirol und ist Redakteurin beim komplex – Kulturmagazin Innsbruck.
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