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Die Selch – Vielfalt statt Eintönigkeit

Die Selch – Vielfalt statt Eintönigkeit

verfasst von Maurice Munisch Kumar
Beitrag vom 09.03.2021
Die Selch
© Daniel Jarosch

Von außen betrachtet fügt sich das ehemalige Haus des Kulturvereins „Die Selch“ in die dörfliche Umgebung der Gemeinde Zirl ein und sticht höchstens durch sein doch sichtbares Alter heraus. Ab 2009 stand ein ganzes Haus drei Jahre lang für kulturelles und künstlerisches Schaffen zur Verfügung. Ein Kulturhaus, welches mit Gemeinschafts-, Experimentier- und Proberäumen auftrumpfte. Das klingt eher nach einem urbanen statt einem dörflichen Kulturzentrum. Der Kulturverein „Die Selch“ hat für Tirol etwas recht Einzigartiges erschaffen: Ein gemeinschaftlich genutztes Haus, das ausschließlich für die Kulturarbeit zur Verfügung stand.

Doch dieses Projekt fängt schon etwas früher an. Im Jahr 2008 haben sich in Zirl verschiedenste Menschen mit einem gemeinsamen Anliegen zusammengetan: zeitgenössische Kulturarbeit und Kunst in ihrer Gemeinde ermöglichen. Am Anfang war es noch recht unklar, was das eigentliche Ziel sein sollte. „Wir wollten Kultur fördern und Schaffen ermöglichen – wir wollten etwas anderes machen als Hexenverkleiden oder Krampus und Schützen“, so Stefan Plattner, Gründungsmitglied des Kulturvereins. Durch „Die Selch“ sollte das Zusammentreffen von unterschiedlichen Menschen gefördert werden, damit etwas Neues entstehen kann, indem verschiedene Interessen zusammenkommen.

Und so hat alles begonnen: Rund um Matthias Rangger haben sich Menschen zusammengefunden, um über das Zirler Jugendzentrum „Big Banana“ ein EU-Projekt anzusuchen. Der Antrag ist schließlich – für einige überraschend – gefördert worden. So war das erste Jahr der Initiative finanziell abgesichert. Mit der Zeit hat das Projekt immer mehr Interessierte angezogen und somit sind immer mehr Menschen Teil der Idee geworden. Schnell war allen klar, dass es einen fixen Ort braucht. Da zu dieser Zeit das Elternhaus von Stefan Plattner in der Bühelstraße 15 zur Verfügung stand, hat man sich dazu entschlossen, das Gebäude als kulturelle Infrastruktur zu nutzen. Das alte Haus hatte nicht nur seinen eigenen Charme, sondern ist auch durch seine Nähe zum Zirler Dorfzentrum sehr zentral und prominent verortet. Der Name „Die Selch“ kam davon, dass im Haus – im Dachboden – eine Kammer zum Selchen war. Steve war von Anfang dabei und erinnert sich noch gut an den Beginn: „Verschiedene Menschen haben sich für verschiedene Sachen interessiert, von digitaler Programmierung, bis hin zu Musik, Film und so weiter. Es haben alle etwas gemeinsam gehabt, aber irgendwie auch doch nicht.“ Das Haus hatte mehrere Räume: zwei Probezimmer, ein Lan-/Computerzimmer, ein Couchzimmer und den Dachboden als experimentelles Labor. „Die Selch“ ist von Einzelpersonen sowie von Gruppen autonom genutzt worden. Sie hatten jeweils einen Schlüssel für das Haus und konnten ein- und ausgehen, wann sie wollten. Teilweise haben bis zu 15 Personen das Haus gleichzeitig genutzt. Das ehemalige Selchmitglied Tota, aka Thomas Öfner, hat zum Beispiel mit seiner Band „Suburban Skies“ den Proberaum im ersten Stock benutzt.
Einmal pro Monat gab es regelmäßige Treffen, bei denen alle zusammenkamen. Thomas betont, dass die Treffen wie eine Art Stammtisch funktionierten. Wenn größere Veranstaltungen anstanden, sind die Treffen dementsprechend intensiviert worden.

Bevor es die Idee mit dem Haus gab, war auch kurz davon die Rede, sich mit bereits existierenden Zirler Kulturvereinen zusammen zu tun, erzählt die letzte Obfrau der „Selch“ Hannah Stolze. Eine Synthese mit dem Skateverein oder dem Verein Zirkus war kurzzeitig angedacht. Letzterer ist später in „Die Selch“ übergegangen. Als nach dem ersten Jahr die EU-Finanzierung ausgelaufen war, wurde entschieden, einen eigenen Verein zu gründen. Dadurch war es möglich, um Subventionen für den Kulturverein bei der Gemeinde anzusuchen, auch wenn diese nicht sehr hoch waren. Der Gründungsvorstand bestand aus den folgenden Personen: Matthias Rangger, Sandra Trojer, Sandra Pletzer, Jakob Rangger, Caroline Bonn, Clemens Maaß und den Kassaprüfern Hannes Rangger und Georg Schwaiger.

Bild: Daniel Jarosch

"Die Selch" – Mehr als ein Haus

Neben der Bereitstellung von Raum und Infrastruktur setzte der Kulturverein „Die Selch“ auch auf soziale Impulse im Dorfleben. Das immer noch stattfindende Integrationsfest „Together Festival“ war und ist eine wichtige Veranstaltung für die Gemeinde Zirl. Eine zentrale Idee war, das Zusammenleben von verschiedenen Teilen der Bevölkerung zu fördern, vor allem von neu zugezogenen Menschen mit Fluchthintergrund. Beim Flüchtlingsheim sind die ersten Integrationsfeste veranstaltet worden. Hannah hebt hervor, dass das Heim sehr abgelegen lag und einige Zirler*innen meinten, dass „die Flüchtlinge“ doch zu „ihnen“ ins Dorf kommen sollten.  Dem Kulturverein war es wichtig, das Fest mit den Bewohner*innen bei ihnen vor Ort zu machen und die Zirler*innen zu den Heimbewohner*innen zu bringen. Obwohl der Kulturverein „Die Selch“ heute nicht mehr existiert und viele ehemalige Vereinsmitglieder weggezogen sind, wird dieses Fest – inzwischen an einem neuen Ort – nach wie vor jedes Jahr organisiert und ist somit die längste Konstante.

Daneben gab es zahlreiche Veranstaltungen, die deutlich machen, welche kulturelle Brandbreite in der „Selch“ Platz hatte, und wie innovativ das Dorf bespielt wurde: von multimedialen Installationen am Dorfplatz, analogen und digitalen Graffitis auf Zirler Hauswänden über zeitgenössische Konzerte im Musikpavillon, die Kinoreihe Cineselch bis hin zum Kleinkunst- und Shortfilmfestival und das Open Air „Open Arts“. All das ist durch den Verein ermöglicht worden. Auch Kooperationen mit dem Zirler Pfarrheim und den Innsbrucker Kulturzentren „Die Bäckerei“ und „Spielraum für alle“ waren Teil des kulturellen Schaffens von „Die Selch“.

Ein Verein ohne Haus – Ein Dorf ohne zeitgenössische Kultur?

Als später das Haus nicht mehr zur Verfügung stand, hat der Verein zwar versucht, wieder einen fixen Ort zu bekommen, aber leider ohne Erfolg. Das ehemalige Vereinsmitglied Clara Stolze betont, dass es bei der Raumsuche wenig Unterstützung von Seiten der Gemeinde gab. Zwischenzeitlich konnte man den „Raum 24“ oder die „Arena“ in Eigenhofen nutzen, aber ohne ein eigenes Haus wie „Die Selch“ fehlt ein Ort, an dem sich Menschen ausprobieren und experimentieren können.

2018 hat sich der Verein dann endgültig aufgelöst. Rückblickend werden verschiedene Schwierigkeiten angeführt, die zur Auflösung des Vereins führten: Leute sind weggebrochen, fehlende Jugendarbeit und für die Vorstandstätigkeit fanden sich keine Personen mehr. Thomas erzählt mit etwas Wehmut: „Es war teilweise zach, Menschen zu mobilisieren, weil die Menschen nach Innsbruck fahren, während beim Krampusverein immer viel los ist.“

Auch wenn der Kulturverein „Die Selch“ nicht mehr existiert, sind sich doch alle einig, dass in ihrer Gemeinde etwas fehlt: „Es fehlt ein Zugang zu einer Alternative, die es halt auch gibt – es gibt kaum Alternativ- oder Subkultur“, so Thomas. Oder wie es Clara auf den Punkt bringt: „Es fehlt etwas Künstlerisches, Kulturelles.

Über den Autor
Mag. (FH) Maurice Munisch Kumar, MA MA hat Europäische Ethnologie, Soziologie und Soziale Arbeit in Innsbruck und Berlin studiert. Er ist in verschiedenen Projekten und Vereinen als Kultur- und Sozialarbeiter aktiv, u.a. beim Kulturkollektiv ContrApunkt, in der p.m.k., bei Archive-IT/Subkulturarchiv sowie in der Schulsozialarbeit Tirol. Außerdem ist er als freier Autor, Dozent und Antidiskriminierungstrainer tätig.
www.mauricekumar.at
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